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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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vierundachtzighundert Jahre alt.«
    Am 21. November 1932 brachte die Detroit Times die folgende Schlagzeile: »Menschenopfer am Altar«. Dann die Geschichte:
    »Einhundert Anhänger eines Negerkults, dessen Oberhaupt wegen Opferung eines Menschen auf einem primitiven Altar bei sich zu Hause festgehalten wird, wurden heute von der Polizei inhaftiert und vernommen. Der selbst ernannte König des Order of Islam ist Robert Harris, 44, wohnhaft 1429 Dubois Ave. Das Opfer, dem er seinem Geständnis zufolge mit einer Autoachse den Kopf eingeschlagen und ein silbernes Messer ins Herz gestochen hat, war James J. Smith, 40, ein Neger, der bei ihm zur Untermiete wohnte.« Dieser Harris, der als der »Voodooschlächter« bekannt werden sollte, hatte auch den Tempel Nr. 1 besucht. Gut möglich, dass er Fards »Verloren Gefunden. Muslimlektionen Nr. 1 und 2« gelesen hatte, darunter die Passage: »ALLE MUSLIME WERDEN DEN TEUFEL ERMORDEN, WEIL SIE WISSEN, DASS ER EINE SCHLANGE IST UND, WÜRDE ER AM LEBEN GELASSEN, JEMAND ANDERES BEISSEN WÜRDE.« Danach hatte Harris seinen eigenen Orden gegründet. Er hatte sich auf die Suche nach einem (weißen) Teufel gemacht; da ein solcher in seinem Viertel aber schwer aufzutreiben war, hatte er eben den genommen, der ihm gerade über den Weg lief.
    Drei Tage später wurde Fard verhaftet. Im Verhör beharrte er darauf, er habe nie jemandem befohlen, einen Menschen zu opfern. Er behauptete, »das höchste Wesen auf Erden« zu sein. (Zumindest hatte er das im ersten Verhör gesagt. Als er Monate später das zweite Mal verhaftet wurde, »gestand« er, so hieß es bei der Polizei, dass die Nation of Islam nichts als »ein Schwindel« sei. Er habe die Prophezeiungen und Kosmologien erfunden, »um so viel Geld wie möglich einzunehmen«.) Was daran auch stimmen mochte, das Ergebnis war: Als Gegenleistung dafür, dass die Anklage fallen gelassen wurde, willigte Fard ein, Detroit ein für alle Mal zu verlassen.
    Und so kommen wir zum Mai 1933. Und zu Desdemona, wie sie sich von der Mädchenklasse für Muslimunterweisung und allgemeine Zivilisation verabschiedet. Kopftücher rahmen tränenüberströmte Gesichter ein. Die Mädchen gehen reihum zu ihr und küssen sie auf beide Wangen. (Meine Großmutter wird die Mädchen vermissen. Sie hat sie sehr lieb gewonnen.)
    »Meine Mutter mir hat gesagt, in schlechte Zeit können Seidenraupen nicht spinnen«, sagt sie. »Machen schlechte Seide. Machen schlechte Kokons.« Die Mädchen glauben diese Wahrheit und untersuchen die frisch geschlüpften Raupen auf Anzeichen von Verzweiflung.
    Im Seidenraum sind alle Regale leer. Fard Muhammad hat die Macht einem neuen Führer übertragen. Bruder Karriem, ehemals Elijah Poole, ist jetzt Elijah Muhammad, Supreme Minister der Nation of Islam. Elijah Muhammad hat andere Vorstellungen von der wirtschaftlichen Zukunft der Organisation. Ab sofort liegt sie nicht mehr in Bekleidung, sondern in Immobilien.
    Und nun geht Desdemona die Treppe zum Ausgang hinab. Sie gelangt ins Erdgeschoss und blickt zurück in die Eingangshalle. Zum ersten Mal überhaupt bewacht die Fruit of Islam nicht den Eingang. Die Vorhänge sind geöffnet. Desdemona weiß, sie sollte zur Hintertür weitergehen, aber jetzt hat sie nichts mehr zu verlieren, also wagt sie sich vor. Sie nähert sich der Doppeltür und stößt sie zum Allerheiligsten auf.
    Die ersten fünfzehn Sekunden steht sie starr da, während ihre Vorstellung von dem Raum mit der Wirklichkeit die Plätze tauscht. Sie hatte sich eine aufragende Kuppel ausgemalt, einen Ezine -Teppich in satten Farben, aber der Raum ist nur ein schlichter Vortragssaal. Am einen Ende eine kleine Bühne, die Wände entlang sind Klappstühle aufgestapelt. Das alles nimmt sie stumm in sich auf. Und dann ertönt wieder eine Stimme:
    »Hallo, Desdemona.«
    Auf der leeren Bühne steht hinter dem Podium der Prophet, der Mahdi, Fard Muhammad. Er ist kaum mehr als eine Silhouette, schlank und elegant, einen Filzhut auf dem Kopf, der sein Gesicht verdeckt.
    »Eigentlich darfst du gar nicht hier sein«, sagt er. »Aber heute ist es wohl in Ordnung.«
    Desdemona, das Herz in der Kehle, bewerkstelligt die Frage:
    »Woher Sie kennen meine Namen?«
    »Hast du es nicht gehört? Ich weiß alles.«
    Auf dem Weg durch die Heizungsschächte hatte Fards tiefe Stimme ihren Solarplexus zum Beben gebracht. Nun, näher, durchdringt sie ihren ganzen Körper. Der Schauder läuft ihr die Arme hinab, bis ihre Finger zittern.
    »Wie geht's

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