Middlesex
Campingfahrt auf heiße Kohlen getreten war, und es kam Mathilda Livanos, die, außerordentlich gelangweilt im Stil schöner Mädchen, kein Interesse an Milton gezeigt und sich nicht einmal die Haare gewaschen hatte. Woche für Woche kamen sie, von ihren Eltern unterstützt oder gezwungen, und Woche für Woche entschuldigte sich Milton Stephanides, ging auf sein Zimmer und spielte seine Klarinette zum Fenster hinaus.
Nun aber kam er, von Desdemona gescheucht, die Treppe herunter, um Gaia Vasilakis zu begrüßen. Sie saß zwischen ihren Eltern auf dem überpolsterten seeschaumgrünen Sofa, auch sie ein großes Mädchen, in weißem Krinolinenkleid mit Rüschensaum und Puffärmelchen. Ihre weißen Söckchen waren ebenfalls gerüscht. Sie erinnerten Milton an die Spitzendecke auf dem Abfalleimer im Bad.
»Junge, das sind aber eine Menge Abzeichen«, sagte GUS Vasilakis.
»Noch eines, und er wäre ein Eagle Scout gewesen«, sagte Lefty.
»Welches denn?«
»Schwimmen«, sagte Milton. »Ich kann nicht die Bohne schwimmen.«
»Ich kann auch nicht gut schwimmen«, sagte Gaia und lächelte.
»Iss doch ein Plätzchen, Miltie«, drängte Desdemona. Milton blickte in die Dose und nahm ein Plätzchen.
»Die hat Gaia gebacken«, sagte Desdemona. »Wie findest du sie?«
Milton kaute sinnierend. Nach einer Weile machte er den Pfadfindergruß. »Ich darf nicht lügen«, sagte er. »Dieses Plätzchen ist saumäßig.«
Gibt es etwas so Unglaubliches wie die Liebesgeschichte der eigenen Eltern? Etwas so schwer zu Begreifendes wie die Tatsache, dass diese zwei Spieler, die ihre beste Zeit hinter sich haben, die ständig auf der Verletztenliste stehen, einmal in der Anfangsformation standen? Unmöglich sich vorzustellen, dass mein Vater, der, wie ich ihn erlebt habe, hauptsächlich von der Senkung des Zinssatzes erregt wurde, die heftigen Leidenschaften der Jugend verspürte. Milton, wie er auf dem Bett lag und von meiner Mutter auf dieselbe Weise träumte wie ich später von dem obskuren Objekt. Milton, wie er Liebesbriefe und, nachdem er Marvells »An seine spröde Geliebte« gelesen hatte, sogar Liebesgedichte schrieb. Milton, wie er elisabethanische Metaphysik mit dem gereimten Stil Edgar Bergens verband:
Du bist genauso Wahnsinn, Tessie Zizmo, Wie ein nagelneuer Mechanismo.
Ein GE-Manager mag ein Freund sein, Du bist ein weltausstellungstolles Fräulein...
Selbst wenn ich mit den nachsichtigen Augen einer Tochter zurückblicke, muss ich zugeben: Mein Vater hat nie gut ausgesehen. Mit achtzehn war er erschreckend, geradezu schwindsüchtig dünn. Pickel sprenkelten sein Gesicht. Die Haut unter seinen traurigen Augen verdunkelte sich bereits zu Säcken. Sein Kinn war fliehend, seine Nase überentwickelt, seine Haare vom Brylcreem dicht und schimmernd wie ein Wackelpudding. Doch Milton war sich keines dieser körperlichen Makel bewusst. Er verfügte über ein steinhartes Selbstwertgefühl, das ihn wie eine Schale vor den Angriffen der Welt schützte.
Theodoras körperliche Reize waren da schon ausgeprägter. Sie hatte Sourmelinas Schönheit geerbt, in kleinerem Maßstab. Nur eins dreiundfünfzig groß, schmale Taille, kleiner Busen, darüber ein langer Schwanenhals, der ihr hübsches, herzförmiges Gesicht trug. War Sourmelina immer eine europäische Amerikanerin gewesen, eine Art Marlene Dietrich, so war Tessie die amerikanisierte Tochter, die die Dietrich hätte haben können. Ihr durchschnittliches, ja bäuerisches Aussehen machte vor der kleinen Zahnlücke und ihrer Himmelfahrtsnase nicht Halt. Gesichtszüge überspringen häufig eine Generation. Ich sehe viel griechischer aus als meine Mutter. Irgendwie war Tessie zu einem Teilprodukt des Südens geworden. Sie sagte Sachen wie »herrje« und »sapperlot«. Da Lina täglich im Blumenladen arbeitete, hatte sie Tessie in die Obhut einer Kollektion älterer Frauen gegeben, viele von ihnen schottisch irische Damen aus Kentucky, und dadurch war in Tessies Aussprache ein gewisses Näseln geraten. Verglichen mit Zoe's kräftigen, männlichen Zügen, hatte Tessie ein so genanntes rein amerikanisches Äußeres, und das war sicher einer der Gründe, die meinen Vater anzogen.
Sourmelina verdiente im Blumenladen nicht eben viel. Mutter und Tochter mussten sparsam wirtschaften. In Secondhand-Lä- den griff Sourmelina gern zu Revuegirl-Kostümen. Tessie wählte vernünftige Kleidung. In der O'Toole flickte sie dann wollene Röcke und handgewaschene Blusen, sie entfusselte Pullover
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