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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sie am letzten Sonntag vorbeigebracht hatten, und sie hatte es zu Vicky Logathetis gesagt, die in der Woche davor gekommen war.
    Desdemona war gerade dreiundvierzig geworden und, nicht anders als ihre Altersgenossinnen, praktisch eine alte Frau. Grau war in ihre Haare eingesickert. Sie trug seit kurzem eine randlose goldene Brille, die ihre Augen größer erscheinen ließ, weshalb aus ihrem Blick noch mehr Dauerbestürzung sprach, als es ohnehin schon der Fall war. Ihre Neigung, sich Sorgen zu machen (was die Swingmusik oben in letzter Zeit noch verstärkt hatte), hatte ihr auch wieder das Herzklopfen beschert. Es trat nun täglich auf. Das ganze Grämen gab den Rahmen vor, in dem Desdemona jedoch blieb, was sie war, ein Aktivitätsbündel, das kochte, putzte, die eigenen Kinder und die von anderen hätschelte, aus Leibeskräften kreischte, ein Ausbund von Lärm und Leben.
    Trotz der korrigierenden Brillengläser war die Welt für meine Großmutter weiterhin unscharf. Desdemona begriff nicht, was das ganze Kämpfen sollte. In Smyrna waren die Japaner die Einzigen gewesen, die Schiffe zur Rettung der Flüchtlinge geschickt hatten. Meine Großmutter bewahrte ihnen gegenüber lebenslang Dankbarkeit. Wurde der heimtückische Angriff auf Pearl Harbor erwähnt, sagte sie: »Erzählt mir nichts von einer Insel mitten im Ozean. Ist das Land hier nicht groß genug, brauchen sie etwa auch noch diese Inseln?« Das Geschlecht der Freiheitsstatue änderte da nichts. Hier war es genauso wie überall: Männer und ihre Kriege. Zum Glück war Milton von der Armee ausgemustert worden. Statt in den Krieg zu ziehen, ging er aufs Abendgymnasium und half tagsüber in der Bar. Die einzige Uniform, die er trug, war die der Pfadfinder, wo er Fähnleinführer war. Gelegentlich führte er seine Jungs zum Campen in den Norden.
    Nach weiteren fünf Minuten, als Milton noch immer nicht aufgetaucht war, entschuldigte sich Desdemona und stieg die Treppe hinauf. Vor Miltons Zimmer blieb sie stehen, runzelte die Stirn über die Musik, die durch die Tür drang. Ohne anzuklopfen, trat sie ein.
    Vor dem Fenster, die Klarinette hochgereckt, spielte Milton, für alles andere war er taub. Seine Hüften schwangen auf unanständige Weise, und seine Lippen glänzten ebenso stark wie seine Haare. Desdemona marschierte durchs Zimmer und knallte das Fenster zu.
    »Komm, Miltie«, befahl sie. »Gaia ist unten.«
    »Ich übe.«
    »Übe später.« Sie spähte, aus dem Fenster auf die Pension O'Toole auf der anderen Seite des Hofes. Im Fenster des zweiten Stocks glaubte sie einen Kopf zu erkennen, der sich gerade duckte, aber sie war sich nicht sicher.
    »Warum spielst du immer am Fenster?«
    »Mir wird heiß.«
    Desdemona war alarmiert. »Wie meinst du das, heiß?«
    »Vom Spielen.«
    Sie schnaubte. »Komm. Gaia hat dir Plätzchen mitgebracht.« Seit einiger Zeit schon hatte meine Großmutter eine wachsende Vertrautheit zwischen Milton und Tessie geargwöhnt. Sie bemerkte die Aufmerksamkeit, die Milton Tessie schenkte, wenn diese mit Sourmelina zum Essen kam. Solange sie heranwuchsen, war Tessies beste Freundin und Spielkameradin immer Zoe gewesen. Nun aber saß Tessie mit Milton auf der Verandaschaukel. Desdemona hatte Zoe gefragt:
    »Warum unternimmst du nichts mehr mit Tessie?« Worauf Zoe in etwas bitterem Ton geantwortet hatte: »Sie hat keine Zeit.«
    Und das hatte Großmutters Herz dann wieder zum Klopfen gebracht. Nach allem, was sie getan hatte, um für ihr Vergehen zu büßen - sie hatte ihre Ehe in ein arktisches Ödland verwandelt und zugelassen, dass ein Chirurg ihre Eileiter zuknotete -, war die Konsanguinität mit ihr noch nicht am Ende. Deshalb hatte meine Großmutter vor lauter Entsetzen eine Tätigkeit wieder aufgenommen, an der sie sich schon einmal versucht hatte, mit ausgesprochen zwiespältigen Ergebnissen. Desdemona machte sich wieder ans Ehestiften.
    Sonntag für Sonntag zog, wie damals in Bithynios, eine Parade heiratsfähiger Mädchen durch die Haustür in der Hurlbut Street. Der einzige Unterschied war der, dass es nicht dieselben zwei, endlos vervielfältigten Mädchen waren. In Detroit hatte Desdemona ein großes Reservoir, aus dem sie schöpfen konnte. Es kamen Mädchen mit Quieksstimme oder sanftem Alt, pummelige und dünne Mädchen, babyhafte, die ein Herzchenmedaillon um den Hals trugen, und vorzeitig gealterte, die als Sekretärinnen in Versicherungsbüros arbeiteten. Es kam Sophie Georgopoulos, die seltsam ging, seit sie bei einer

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