Middlesex
Milton von hinten heran und spielte seine Klarinette an Tessies Nacken. Der Ton war gedämpft. Haarsträhnen flogen auf. Tessie schrie, aber nicht lange. »Yeah, dad«, sagte Milton hinter ihr.
Und so fing es an. Er spielte »Begin the Beguine« an Tessies Schlüsselbein. Er spielte »Moonface« an ihren glatten Wangen. Er drückte die Klarinette an ihre roten Zehennägel, die ihn so verwirrt hatten, und spielte »It Goes to Your Feet«. Mit einer Heimlichkeit, die sie sich nicht eingestanden, drifteten Milton und Tessie in stille Winkel des Hauses, und indem Tessie dann ein wenig den Rock hob oder eine Socke abstreifte oder einmal, als niemand daheim war, ihre Bluse hochzog, um den unteren Rücken zu entblößen, gestattete sie Milton, die Klarinette auf ihre Haut zu drücken und ihren Körper mit Musik zu füllen. Zunächst kitzelte es nur. Aber nach einer Weile breiteten sich die Noten tiefer in ihrem Körper aus. Sie spürte, wie die Vibrationen in ihre Muskeln drangen, in Wellen pulsierten, bis sie ihre Knochen schüttelten und ihre inneren Organe summen ließen.
Milton spielte sein Instrument mit denselben Fingern, mit denen er den Pfadfindergruß ausführte, doch seine Gedanken waren alles andere als rein. Schwer atmend, mit bebender Konzentration über Tessie gebeugt, bewegte er die Klarinette wie ein Schlangenbeschwörer im Kreis. Und Tessie war eine Kobra, vom Klang gebannt, gezähmt, verzückt. Als sie an einem Nachmittag wieder einmal allein waren, legte sich Tessie, seine ordentliche Cousine, schließlich auf den Rücken. Sie schlug einen Arm übers Gesicht. »Worauf soll ich jetzt spielen?«, flüsterte Milton, und sein Mund war zu trocken, um überhaupt etwas zu spielen. Tessie löste einen Knopf ihrer Bluse und sagte mit erstickter Stimme: »Auf meinem Bauch.«
»Ich kenne kein Stück über den Bauch«, sagte Milton zögernd.
»Dann meine Rippen.«
»Ich kenne kein Stück über Rippen.«
»Mein Brustbein?«
»Über das Brustbein hat noch niemand ein Stück geschrieben, Tess.«
Sie löste noch mehr Knöpfe, die Augen geschlossen. Und, kaum noch flüsternd: »Und darüber?«
»Da weiß ich was«, sagte Milton.
Wenn er nicht an Tessies Haut spielen konnte, öffnete Milton das Fenster seines Zimmers und brachte ihr von fern ein Ständchen. Manchmal rief er in der Pension an und fragte Mrs. O'Toole, ob er mit Theodora sprechen könne. »Moment«, sagte Mrs. O'Toole und brüllte die Treppe hinauf: »Zizmo, Telefon!« Milton hörte das Geräusch die Treppe hinabrennender Füße, dann sagte Tessies Stimme Hallo. Und er spielte Klarinette ins Telefon.
(Jahre später erinnerte sich meine Mutter noch an die Tage, als die Klarinette um sie geworben hatte. »Dein Vater spielte nicht besonders. Zwei, drei Stücke. Mehr nicht.« - »Was soll das heißen?«, protestierte Milton dann. »Ich hatte ein ganzes Repertoire.« Schon pfiff er »Begin the Beguine«, trillerte die Melodie, ein Klarinettenvibrato nachahmend, und griff mit den Fingern in die Luft. »Warum bringst du mir keine Ständchen mehr?«, fragte Tessie. Doch Milton hatte anderes im Sinn.
»Was ist überhaupt aus meiner alten Klarinette geworden?«
Und dann Tessie: »Woher soll ich das wissen? MUSS ich denn auf alles aufpassen?« - »Ist sie im Keller?« - »Vielleicht hab ich sie ja weggeschmissen!« -»Du hast sie weggeschmissen! Warum denn das, Herrgott!« -»Was willst du damit, Milt, wieder üben? Du konntest das verdammte Ding doch schon damals nicht spielen.«)
Alle Liebesständchen gehen einmal zu Ende. Aber 1944 gab es für die Musik kein Halten. Wenn das Telefon im Juli in der Pension O'Toole klingelte, drang zuweilen ein andersartiges Liebeslied aus der Ohrmuschel: »Kyrie eleison, Kyrie eleison.« Eine sanfte Stimme, fast so weiblich wie die Tessies, flötete ein paar Blocks weiter in ein Telefon. Der Singsang dauerte wenigstens eine Minute. Und dann fragte Michael Antoniou:
»Wie war das?«
»Das war klasse«, sagte meine Mutter.
»Wirklich?«
»Genau wie in der Kirche. Fast hätte ich es noch geglaubt.« Was mich zur letzten Komplikation in diesem an Verwicklungen überreichen Jahr bringt. In Sorge, was Milton und Tessie im Schilde führten, versuchte meine Großmutter nicht nur, Milton mit einer anderen zu verheiraten. Im Sommer hatte sie auch einen Mann für Tessie.
Michael Antoniou - Father Mike, wie er später in unserer Familie heißen sollte - war zu jener Zeit Seminarist am griechischorthodoxen Heilig-Kreuz-Kolleg in
Weitere Kostenlose Bücher