Midkemia Saga 01 - Der Lehrling des Magiers
tauchte eine Gestalt aus dem Dunkel auf: die undeutlichen Umrisse eines Mannes, ein Schatten, dunkler als das Dunkel, mit zwei rotglühenden Lichtern, wo die Augen sein sollten.
»Haltet Euch dicht beieinander, und bewacht euren Nachbarn!« brüllte Dolgan. »Ihr könnt es nicht töten, aber sie mögen das Gefühl von kaltem Eisen nicht. Laßt euch nicht berühren, denn es wird das Leben aus euren Körpern ziehen. Auf diese Weise ernähren sie sich.«
Langsam näherte es sich ihnen, als wäre keine Eile geboten. Einen Augenblick lang blieb es stehen, als wollte es die Verteidigungslinie vor sich inspizieren.
Das Gespenst stieß ein weiteres leises, tiefes Stöhnen aus. Es hörte sich an, als wäre alles Entsetzen, alle Hoffnungslosigkeit der Welt zu Ton geworden.
Plötzlich schlug einer der Soldaten zu. Ein schrilles Stöhnen entrang sich der Kreatur, als das Schwert traf, und einen Augenblick lang tanzte kaltes, blaues Feuer über die Klinge. Die Kreatur wich zurück, hieb dann blitzschnell und überraschend nach dem Soldaten. Ein armähnlicher Schatten erstreckte sich aus ihrem Körper, und der Soldat schrie auf, als er zu Boden stürzte.
Die Maultiere rissen sich los, entsetzt von der Anwesenheit des Gespenstes.
Soldaten wurden zu Boden gestoßen, und Verwirrung beherrschte alles. Für kurze Zeit verlor Pug das Gespenst aus den Augen, so sehr war er damit beschäftigt, wirbelnden Hufen auszuweichen. Er hörte Kulgans Stimme hinter sich und sah den Magier neben Prinz Arutha stehen. »Stellt euch alle dicht nebeneinander«, befahl der Magier. Gehorsam drängte sich Pug mit den anderen um Kulgan, während der Schrei eines weiteren Soldaten durch den Gang hallte. Nach einem Moment bildete sich eine große weiße Rauchwolke um sie her, die sich von Kulgans Körper aus ausbreitete. »Wir müssen die Tiere zurücklassen«, erklärte der Magier. »Der Untote wird den Rauch nicht betreten, aber ich kann ihn nicht lange so zusammenhalten oder weit damit gehen. Wir müssen jetzt fliehen.«
Dolgan deutete auf einen Tunnel auf der anderen Seite der Höhle. »Dorthin müssen wir gehen.« Die Gruppe blieb dicht zusammen, als sie auf den Tunnel zustrebte, während ein entsetztes Tier aufschrie. Leichen lagen am Boden, die beiden Maultiere ebenso wie die gefallenen Soldaten. Fackeln flackerten und verliehen der Szene alptraumhafte Gestalt, als sich der schwarze Schatten der Gruppe näherte. Als er den Rand des Rauches erreichte, wich er davor zurück.
Das Wesen lief daran entlang, unwillig oder unfähig, hineinzutreten.
Pug sah an der Kreatur vorbei, und sein Magen drehte sich um. Deutlich erkennbar im Licht der Fackel, die er hielt, stand da Tomas hinter dem Gespenst. Hilflos sah er an ihm vorbei auf Pug und die entfliehende Gruppe.
»Tomas!« schrie Pug auf und schluchzte. Einen kurzen Moment lang blieb die Gruppe stehen. Dann erklärte Dolgan: »Wir können nicht halten. Wir würden alle sterben wegen eines Jungen. Wir müssen weiterziehen.« Eine feste Hand umklammerte Pugs Schulter, als er zu seinem Freund stürzen wollte. Als er sich umschaute, sah er, daß Gardan ihn festhielt. »Wir müssen ihn zurücklassen, Pug«, sagte er mit grimmigem Ausdruck in seinem knochigen Gesicht. Hilflos wurde Pug mitgeschleppt. Er sah, wie das Gespenst ihnen einen Augenblick lang folgte. Dann blieb es stehen und wandte sich Tomas zu.
Ob durch Pugs Schreie oder durch ein teuflisches Gespür aufmerksam gemacht, bewegte sich die untote Kreatur auf Tomas zu und trieb ihn langsam in die Ecke. Der Junge zögerte. Dann wirbelte er herum und rannte einen anderen Tunnel entlang. Das Gespenst kreischte und folgte ihm. Pug sah, wie das Glühen von Tomas’ Fackel im Tunnel verschwand.
Schatten und Licht tanzten wie verrückt auf den Wänden, als Tomas den Gang hinunterhastete. Seine Schritte hallten durch die Dämmerung. Er hielt die Fackel fest in seiner linken Hand, das Schwert in der anderen. Er sah über die Schulter und entdeckte die beiden rotglühenden Augen, die ihn verfolgten.
Aber sie schienen nicht näher zu kommen. Grimmig dachte er »Wenn es mich erwischt, dann erwischt es den schnellsten Läufer von ganz Crydee.« Seine Schritte wurden länger, leichter, so daß er Kraft und Atem sparte. Er wußte, wenn er sich umdrehen und der Kreatur gegenübertreten mußte, dann würde er gewiß sterben. Die ursprüngliche Furcht ließ nach, und jetzt fühlte er, wie sein Verstand kalt mit der listigen Vernunft einer Beute arbeitete, die
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