Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
gewußt. Und nicht ein einziges Mal hat er versucht, daraus einen Vorteil zu ziehen.«
Aruthas Ärger ließ nach. »Hat er noch etwas gesagt?«
»Nur ›Danke, Lyam‹. Dann ist er gegangen.«
Arutha ging ein paar Schritte auf und ab. Dann wandte er sich wieder Lyam zu. »Martin ist ein guter Mann, einen besseren kenne ich nicht. Ich bin bestimmt der erste, der das sagt. Aber das jetzt! Meine Güte, weißt du eigentlich, was du getan hast?«
»Ich bin mir meiner Handlungen immer bewußt.«
»Du hast alles, was wir in den letzten neun Jahren gewonnen haben, aufs Spiel gesetzt, Lyam.
Sollen wir ehrgeizige Herrscher aus dem Osten bekämpfen, die sich vielleicht in Martins Namen erheben werden? Haben wir einen Krieg beendet, bloß, um einen noch bittereren zu beginnen?«
»Es wird keinen Streit geben.«
Arutha blieb stehen. Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Wie meinst du das? Hat Martin versprochen, keinen Anspruch zu erheben?«
»Nein. Ich habe beschlossen, mich nicht gegen Martin zu stellen, sollte er sich für die Krone entscheiden.«
Arutha war einen Augenblick lang sprachlos, und er sah Lyam entsetzt an. Zum erstenmal verstand er die schrecklichen Zweifel, die seinen Bruder plagten. »Du willst nicht König werden«, sagte er, und sein Ton war eine einzige Anklage.
Lyam lachte verbittert. »Kein gesunder, normaler Mann würde das wollen. Du hast es selbst gesagt, Bruder. Ich weiß nicht, ob ich den Erfordernissen gewachsen wäre. Aber jetzt liegt die Angelegenheit nicht mehr in meinen Händen. Wenn Martin sich dafür einsetzt, König zu werden, dann werde ich ihm sein Recht zugestehen.«
»Sein Recht! Das königliche Siegel ist auf deine Hand übergegangen, in Anwesenheit fast aller Herrscher des Königreiches. Du bist nicht der kranke Erland, der aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit und weil es keine klare Nachfolge gab, vor dem Sohn seines Bruders weichen konnte.
Du bist der benannte Erbe!«
Lyam ließ den Kopf sinken. »Das gilt nicht, Arutha. Roderic benannte mich als ›ältesten männlichen Vertreter der conDoins‹ zum Thronfolger, und das bin ich nicht. Das ist Martin.«
Arutha funkelte seinen Bruder wütend an. »Hübsch gesagt, Lyam. Aber das kann den Zerfall des Königreichs bedeuten! Sollte Martin vor dem versammelten Kongreß seinen Anspruch anmelden, dann werden die Priester von Ishap die Krone brechen, und die ganze Angelegenheit wird dem Kongreß der Herrscher zur Lösung übergeben werden. Selbst wenn Guy sich noch weiterhin versteckt, gibt es mindestens ein Dutzend Herzöge, Scharen von Grafen und eine Unmenge von Baronen, die bereitwillig die Kehle ihres Nachbarn durchschneiden würden, um einen solchen Kongreß einzuberufen. Und das Ende wäre, daß das halbe Land, die ganzen Ländereien im Königreich sich gegenseitig in die Hände arbeiten würden, um Stimmen zu erzielen. Das wäre lächerlich!
Wenn du dagegen die Krone annimmst, kann Bas-Tyra nichts machen. Doch wenn du Martin unterstützt, werden sich viele weigern, ihm zu folgen. Ein handlungsunfähiger Kongreß – das ist genau das, was Guy sich wünscht. Ich wette um alles, was ich besitze, daß er in diesem Augenblick irgendwo hier in der Stadt steckt und Intrigen schmiedet. Wenn die östlichen Herrscher sich erheben, dann wird Guy auftauchen, und viele werden seinem Banner folgen.«
Lyam schien von den Worten seines Bruders überwältigt. »Ich weiß auch nicht, was geschehen wird, Arutha. Aber ich weiß, daß ich nicht anders handeln konnte, als ich es getan habe.«
Es sah aus, als wollte Arutha Lyam schlagen. »Du hast vielleicht Vaters Sinn für Familienehre geerbt, aber uns anderen wird es zukommen, mit dem Töten fertig zu werden! Himmel, Lyam, was glaubst du eigentlich, was passieren wird, wenn irgendein bisher namenloser Jägersmann daherkommt und sich auf den conDoin-Thron setzt, bloß weil unser Vater vor fast vierzig Jahren einmal mit einer hübschen Magd poussiert hat! Das bedeutet den Bürgerkrieg!«
Lyam gab nicht nach. »Wenn du an meiner Stelle gewesen wärest, Arutha, hättest du Martin dann sein Geburtsrecht abgesprochen?«
Aruthas Ärger verging. Er sah seinen Bruder sehr erstaunt an. »Großer Gott! Du hast ein schlechtes Gewissen, nur weil Vater Martin sein Leben lang verleugnet hat, ist es das?« Er trat einen Schritt von Lyam zurück, als wollte er ihn besser betrachten. »Wäre ich an deiner Stelle gewesen, dann hätte ich Martin ganz gewiß sein Geburtsrecht abgestritten. Was machen ein
Weitere Kostenlose Bücher