Midkemia Saga 03 - Die Gilde des Todes
die Kerzen nicht erlöschen, denn sonst würden Kräfte frei, denen zu widerstehen – schwierig wäre.« Die Hohepriesterin schlug ihren schwarzen Schleier zurück. Arutha konnte ein Staunen nicht unterdrücken. Sie war kaum älter als ein Mädchen und ein liebreizendes noch dazu mit ihren blauen Augen und einer Haut wie von der aufgehenden Sonne liebkost. Den feinen Brauen nach zu schließen, mußte ihr Haar von bleichstem Goldblond sein. Sie hob die Hände über den Kopf und begann zu beten. Ihre Stimme war weich und wohlklingend, doch die Worte waren fremdartig und furchterregend.
Der Mann auf dem Bett wand sich, während sie ihr Gebet fortsetzte. Plötzlich riß er die Augen auf und starrte zur Decke. Er zuckte und wehrte sich gegen seine Bande. Doch dann entspannte er sich und wandte das Gesicht der Hohepriesterin zu. Sein Blick war geistesabwesend, während seine Augen sich abwechselnd auf sie richteten und wieder abwandten. Nach einer Weile verzogen seine Lippen sich zu einem seltsamen finsteren Lächeln – eine Fratze von höhnischer Grausamkeit. Seine Stimme war tief und hohl: »Was wollt Ihr, Herrin?«
Die Hohepriesterin runzelte die Stirn, offenbar mißfiel ihr sein Benehmen, aber sie bewahrte ihre Haltung und meinte kühl von oben herab: »Ihr tragt das Zeichen des Ordens vom Silbernetz, und doch dient Ihr im Tempel. Erklärt mir diesen Widerspruch!«
Der Mann antwortete mit einem schrillen, sich überschlagenden Lachen, das nur langsam erstarb. »Ich bin der, der dient.«
Sie blickte ihn scharf an. »So antwortet: Wem dient Ihr?«
Wieder lachte der Mann. Seine Muskeln spannten sich und wehrten sich gegen die beengenden Bande. Schweiß stand auf seiner Stirn. Doch dann entspannte er sich, und wiederum lachte er schrill: »Ich bin der, den man fing!«
»Wem dient Ihr?«
»Ich bin der, der zum Fisch wurde. Ich bin in einem Netz gefangen.« Wieder gellte dieses irre Lachen, verbunden mit einem fast krampfartigen Zerren an den Stricken. Schweiß rann dem Mann nun in Strömen über das Gesicht. Schreiend kämpfte er gegen seine Fesseln an. Als es schon fast so schien, als würde er sich in seiner wahnsinnigen Anstrengung die Knochen brechen, brüllte er:
»Murmandamus! Hilf deinem Diener!«
Ein plötzlicher Windstoß blies eine Kerze aus. Ein krampfartiges Zucken überwältigte den Mann daraufhin, so daß sein Körper sich krümmte und nur Füße und Kopf noch das Bett berührten. So sehr zerrte er dabei an den Stricken, daß die Haut aufriß und er zu bluten begann. Unvermittelt brach er auf dem Bett zusammen. Die Hohepriesterin wich einen Schritt zurück, doch dann näherte sie sich ihm wieder und betrachtete ihn. Leise sagte sie: »Er ist tot. Zündet die Kerze wieder an.«
Auf Aruthas Wink zündete ein Gardist mit einem Fidibus, den er an eine brennende Kerze gehalten hatte, die erloschene an. Die Hohepriesterin begann mit einem neuen Gebet. Während das erste leichtes Unbehagen vermittelt hatte, erweckte dieses unbeschreibbare Furcht und rief eine Kälte herbei, wie aus dem finstersten Winkel eines eisigen Landes der Trostlosigkeit. Es brachte den Widerhall der Schreie jener, für die es weder Freude noch Hoffnung mehr gab. Und doch schwang in ihm auch etwas anderes mit, etwas Mächtiges, Anziehendes: eine Verlockung, die davon sprach, wie wundervoll es sei, alle Last und Sorgen abzulegen und sich auszuruhen. Während die Priesterin in ihrem Gebet fortfuhr, erwuchs ein Gefühl drohenden Unheils. Die Umstehenden mußten dagegen ankämpfen, nicht einfach davonzulaufen, weit fort vom aufwühlenden Klang dieser Beschwörung.
Plötzlich endete sie, und es war still wie in einer Grabkammer.
Nunmehr sprach die Hohepriesterin in der Königssprache: »Im Fleisch bist du bei uns, doch untenan unserer Herrin Lims-Kragma.
Höre! Wie unsere Lady des Todes zu guter Letzt alles bestimmt, so befehle ich dir nun in ihrem Namen: Kehre zurück!«
Die Gestalt auf dem Bett regte sich, doch lag sie dann wieder still.
Lauter rief die Hohepriesterin: »Kehre zurück!« Erneut rührte die Gestalt sich. Ruckartig hob der ›Tote‹ den Kopf und öffnete die Augen. Er schien sich in dem Gemach umzuschauen, obwohl die Augäpfel so verdreht waren, daß nur das Weiße zu sehen war. Ja, der
›Leichnam‹ mußte imstande sein, etwas wahrzunehmen, denn er hielt in der Bewegung inne, als das Gesicht auf die Hohepriesterin gerichtet war. Er öffnete die Lippen und lachte hohl.
Die Priesterin trat näher an ihn heran.
Weitere Kostenlose Bücher