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Midleifcrisis

Midleifcrisis

Titel: Midleifcrisis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Lasse Andersson
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mich anruft, als ich Maria im Auto habe. Mama ist gestürzt, ich muss schnell vorbeikommen, und ich kann Maria ja schlecht vor meinem Elternhaus rauswerfen, damit sie dort in High Heels die Straße entlangtigert. Also bringe ich Mama ins Bett, die Maria misstrauisch mustert und mir politisch höchst unkorrekt zuraunt: »Das ist doch eine Negerin?«
    Tja. Meine Mama.
    Ich habe bisher wenig über sie geschrieben, weil sie wirklich zu den Leuten gehört, die ich am liebsten aus meinen Erinnerungen verdränge, aber in der Geschichte mit Maria spielt sie doch noch einmal eine Hauptrolle. Mama hat wirklich noch 33 Jahre nach Holgers Tod durchgehalten, und das, um täglich nicht weniger als einer Flasche Mariacron den Hals zu brechen. Sie besticht ihre Putzfrau, die das Zeug literweise anschleppt und irgendwo an den unmöglichsten Orten versteckt. Nach Mamas Tod werden meine Schwester Merle und ich diese Flaschen sogar hinter den Büchern im Wohnzimmerschrank finden, im Bettkasten, in den leeren Packungen antiker Staubsaugerbeutel. Und sogar im Spülkasten der Toilette entdecke ich rechts und links neben dem Schwimmer noch zwei Flaschen, als ich nach dem Grund fahnde, warum das Ding Merles Häufchen nicht wegspült. Kann es ja nicht: Neben dem Schnaps ist kaum noch Platz für Wasser und ich bewundere den Erfindungsgeist der alten Dame, darauf muss man erst mal kommen.
    Dazu muss man sagen: Mama steckt ihre Sauferei in bewundernswerter Weise weg. Einmal hatte ich überstürzt die Arbeit verlassen, weil mich der Hausarzt anrief und sagte, sie habe einen Schlaganfall erlitten. Als ich auftauchte, war gerade das Problem zu lösen, dass Mama zwar nicht mehr sprechen konnte, aber sich weigerte, sich in den Krankenwagen bringen zu lassen. Erst als ich ihr damit drohte, die Polizei zu rufen, die sie gegen ihren Willen mit Handschellen in die Klinik bringen würde, willigte sie ein. Warum das so war, erfuhr ich vom Krankenhausarzt: Mama hatte keineswegs einen Schlaganfall, sondern lediglich 2,9 Promille, wofür sie aber noch bemerkenswert gut auf den Beinen war. Ich bejahte die Frage, ob sie Alkoholikerin sei, und er sagte: »Ach Gott, die alte Dame, natürlich liegt das in ihrem Ermessen, aber ich würde von einer Entziehungskur abraten, was soll das noch in ihrem Alter, ich würde es ihr nicht zumuten wollen.«
    Um Mitternacht bekam ich einen weiteren Anruf aus der Klinik: Mama sei weg, ihre Sachen noch da. Ich fand sie ergrimmt vor ihrer Haustür sitzend, sie war im Nachthemd getürmt, hatte einen Taxifahrer bestochen, sie mitzunehmen, und das allein aus dem Grund, dass ihr in der Klinik wirklich niemand einen Schluck ans Bett bringen wollte. Dummerweise hatte sie keinen Schlüssel eingesteckt, als es ins Krankenhaus ging. Also ließ ich sie fünf ordentliche Gläser Weinbrand trinken, brachte sie zurück in die Klinik und versprach ihr, jeden Tag heimlich eine Flasche ins Krankenhaus zu schmuggeln. Damit konnte sie leben. Nach drei Tagen wurde sie entlassen, relativ gesund, aber fröhlich betrunken, um ihre letzten Wochen und Monate in Ruhe zu Hause weiterzusaufen.
    Die letzten Jahre haben sich hauptsächlich Elke und ich um sie gekümmert, schließlich waren wir auch die Einzigen, die Enkelkinder beizusteuern hatten, und außerdem wohnten wir ja wieder in Hamburg. Birgitta ist nach Stockholm ausgewandert, Victoria nach Frankfurt gezogen und Merle nach Hannover. In den letzten Monaten von Mamas Leben, so viel sei zu Merles Ehrenrettung gesagt, kam sie jedes Wochenende, logierte bei mir auf St. Pauli und kümmerte sich um Mama. Dafür versuchte ich, in der Woche nach ihr zu sehen. Als es am Ende schlimm wurde, kam ich morgens vor der Arbeit, wartete, bis der Pflegedienst da war, und fuhr abends noch einmal vorbei, um ihr im Bett die Wange zu tätscheln.
    Dass ich sie eines Morgens tot in ihrem Bettchen finde, eine müde, abgemagerte alte Frau, die es weiß Gott nicht leicht gehabt hat in ihrem Leben, ist nicht überraschend, überraschend ist lediglich, dass es mich trotz allem tieftraurig macht. Ich informiere meine Schwestern, aber es gibt nicht viel zu sagen: Mama hat sich nach Holgers Tod und zwischen ihrem 50. und 83. Lebensjahr mit großer Systematik zu Tode getrunken, und zur Hölle auch, sie hat es getan wie ein alter Seebär: ohne zu schwanken und ohne zu klagen!
    Ein bisschen Ärger gibt es allerdings wegen der Beerdigung. Maria kommt drei Tage vorher vorbei und zeigt mir stolz das schwarze Kleid, das sie extra für die

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