Midnight Angel: Dunkle Bedrohung (German Edition)
bestimmt nicht als muskulös gelten konnten. Steve, ihr letzter Lover, war spindeldürr gewesen. Sie wusste nicht mehr, wie er sich angefühlt hatte, konnte sich kaum an sein Aussehen entsinnen.
Ein spitzes Gesicht hatte er gehabt, fiel ihr plötzlich ein, und ein fusseliges Bärtchen.
Wie sah Douglas aus?
Ihr Arzt hatte gesagt, Blinde lernten mit der Zeit, sich ein geistiges Bild von einem Menschen zu machen, indem sie ihn anfassten. Das hatte sie auch schon in Filmen gesehen. Wie machten sie das? Vielleicht hätte sie es an Suzanne und Claire üben sollen, deren Gesichter ihr vertraut waren. Nase, Stirn und Mund betasten – würde sie so ein Gesicht »sehen « lernen?
Sie musste es ausprobieren. Es war ihr wichtig, ein geistiges Bild von Douglas zu bekommen. In den wenigen Stunden ihrer Bekanntschaft hatte er für sie schon mehr Bedeutung erlangt als jeder andere Mann in ihrem Leben. Doch sie hatte keine Ahnung, wie er aussah.
Plötzlich wollte sie unbedingt wissen, wie er aussah.
Von seinem Körper hatte sie eine gute Vorstellung. Er war groß, unglaublich breitschultrig, hatte sehr lange Gliedmaßen – die Arme erschienen ihr doppelt so lang wie ihre eigenen – , seine Hände waren rau und schwielig.
Und sein Gesicht?
Sanft glitten ihre Finger über die Schlüsselbeine und den Hals hinauf. Er hatte Bartstoppeln. Sie begannen auf halber Höhe, sodass nur ein kleines Stück glatter Haut zwischen Gesichts- und Brustbehaarung blieb. Ihre Fingerspitzen wanderten weiter aufwärts …
Douglas fing sie ab und hielt sie an den Handgelenken fest. Seine Finger schlossen sich darum wie Handschellen. Er tat ihr nicht weh, aber sie konnte die Arme nicht mehr bewegen.
»Douglas ?« , flüsterte sie und zog versuchshalber. Da war kein Nachgeben. »Ich möchte wissen, wie du aussiehst. Lass mich dein Gesicht anfassen .«
Sie hörte ein Rascheln auf dem Kissen und begriff, dass er den Kopf schüttelte. Also nein.
»Douglas ?« Sie drückte ein wenig gegen seine Hände.
Ein gepresstes Brummen kam aus seiner Brust.
»Nein .« Hart und unmissverständlich.
»Warum ?« , fragte sie sanft.
Die Antwort kam dunkel und rau heraus, als käme sie von einem schrecklichen Ort. »Ich bin … hässlich .«
»Du bist hässlich ?«
»Sehr .«
Das war bestürzend. Wie konnte Douglas hässlich sein? Ihr erschien er wie der Inbegriff des attraktiven Mannes, ein echter Alpha.
Er hatte die Statur eines Gottes. Er war übermäßig gut ausgestattet, dachte sie heimlich lächelnd und ruckelte ein wenig auf ihm.
Als Reaktion zuckte er gegen sie. Dann lag er still.
Selbstverständlich. Sie hatte Nein gesagt, und er respektierte das. Er war ein respektvoller Mann. Auch das machte ihn attraktiv.
Er liebte Musik und kannte sich damit aus.
Er war ritterlich und trug sie zu seinem Wagen, damit sie keine nassen Füße bekam.
Er war bereit, für sie zu sterben. Und für seine Freunde. Dank seines Mutes hatte es bei der Ausstellung kein Blutbad gegeben. Bud, Claire, John, Suzanne waren am Leben, weil er unbewaffnet auf bewaffnete Verbrecher losgegangen war.
Er hatte die betörendste Stimme, die sie je bei einem Mann gehört hatte. Nach zwei Minuten Unterhaltung war sie schonhalbin ihn verliebt gewesen, und nur aufgrund seiner Stimme.
Und nun sollte er hässlich sein?
»Lass mich dein Gesicht betasten, Douglas « , bat sie leise. »Du kannst gar nicht hässlich sein. Nicht für mich .«
Er rührte sich nicht, die Finger blieben um ihre Handgelenke geschlossen, er hielt unmenschlich still. Es kam ihr vor, als hätte er aufgehört zu atmen.
»Bitte, Douglas « , bettelte sie. »Ich muss dein Gesicht anfassen. Ich weiß überhaupt nicht, wie du aussiehst. Wir haben miteinander geschlafen. Wir liegen nackt zusammen im Bett und … und ich kann mir dein Gesicht nicht vorstellen .«
Es gab nichts auf der Welt, womit sie ihn zwingen konnte. Sie konnte nur bitten und warten.
Kurz verengte sich sein Griff um ihre Handgelenke, dann ließ er sie los und legte seine großen Hände auf ihre Oberschenkel.
»Okay. Fass mich an .« Er klang emotionslos. »Nur zu .«
Zögernd beugte sie sich hinab. Die Haare fielen ihr über die Schultern nach vorn.
Eigentlich sahen alle Menschen gleich aus – zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase, ein Mund, Wimpern, Brauen –, außer sie waren entstellt. Männer hatten mitunter einen Bart. Aber manche Frauen auch.
Sie dachte an Rosa, die Haushälterin der Parks’, und deren Schwester Elena, die einen
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