Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
verstecken. Nur zwei Reihen Bänke und das steinerne Podest
vorne im Raum. Auf der anderen Seite lag noch ein Türbogen, dahinter tiefste
Dunkelheit. Es war ihr unmöglich, zu erkennen, wohin er führen mochte. Doch das
war jetzt sowieso bedeutungslos. Dante stand in dem offenen Eingang des
Korridors. Sein muskulöser Körper hatte noch nie so machtvoll gewirkt wie
jetzt, als er in die kleine Kapelle trat und sich langsam auf sie zu pirschte.
„Tess, wir müssen das nicht tun.
Bitte lass uns reden.“ Seine kraftvollen Bewegungen stockten für eine Sekunde,
und er blickte finster. Dann hob er die Hand an die Schläfe, als ob er
Schmerzen hätte. Als er wieder sprach, war seine Stimme um eine volle Oktave
tiefer und grollte wie ein tiefes Knurren.
„Herrje, könnten wir einfach mal
… Lass uns doch versuchen, das vernünftig zu klären.“
Tess wich zurück, schob sich
zentimeterweise auf die Wand gegenüber zu, wo der andere in den Stein gehauene
Türbogen lag.
„Verdammt, Tess. Hör mich an.
Ich liebe dich.“
„Sag das nicht. Hast du mir
nicht schon genug Lügen erzählt?“
„Das ist keine Lüge. Ich
wünschte, es wäre eine, aber …“
Dante machte noch einen Schritt,
und plötzlich gaben seine Knie unter ihm nach. Er fauchte, als er sich an einer
der niedrigen Bänke fing, und krallte die Finger so hart in das Holz, dass es
Tess wie ein Wunder erschien, dass es nicht zerbarst.
Etwas Seltsames passierte mit
seinen Gesichtszügen. Trotz seines gesenkten Kopfes konnte sie erkennen, dass
seine Konturen schärfer wurden, seine Wangen schienen schmaler, eckiger, seine
goldene Haut spannte sich straffer über den Knochen. Er zischte einen Fluch,
etwas, das sie genauso wenig erkannte wie die grabestiefe Rauheit seiner
Stimme.
„Tess … du musst mir vertrauen.“
Sie rückte näher an den Türbogen
heran, tastete sich mit der Hand vor, während sie die Wand entlangschlich. Dann
stand sie vor der Öffnung, hinter sich nichts als gähnende Finsternis und eine
leichte, kühle Brise an ihrem Rücken. Sie wandte den Kopf, um in die Dunkelheit
zu blicken …
„Tess.“
Dante musste ihre Bewegung gespürt
haben. Als sie ihn jetzt ansah, hob er den Kopf und begegnete ihrem Blick.
Die warme Farbe seiner Augen
hatte sich in ein feuriges Glühen verwandelt, die Pupillen zu vertikalen
Schlitzen verengt. Mit staunendem Entsetzen beobachtete sie seine Verwandlung.
„Geh nicht“, stieß er hervor,
und seine Worte verhedderten sich in einem spektakulären Paar von Reißzähnen,
die immer länger wurden. „Ich werde dich nicht verletzen.“
„Es ist zu spät, Dante, das hast
du schon“, flüsterte sie. Dann trat sie in den Türbogen. In der Dunkelheit
ahnte sie eine Flucht von Steinstufen, die steil nach oben führten - vermutlich
zu der Quelle des kühlen Luftzugs, der sie umgab. Wo immer sie auch hinführten,
sie musste es versuchen. Sie setzte ihren Fuß auf die erste Stufe …
„Tess!“
Sie sah nicht zurück. Sie
wusste, sie durfte es nicht, sonst würde sie vielleicht nicht mehr den Mut
haben, ihn zu verlassen.
Sie nahm die ersten Stufen
vorsichtig tastend, dann wurde sie schneller und sprang eilends weiter die
Treppe hinauf.
Von unten hallte Dantes wütendes
Aufbrüllen durch die Kapelle, wehte die Steinwände hoch und direkt in ihre
Knochen.
Tess hielt nicht an. Sie hetzte
noch schneller treppaufwärts, rannte und rannte. Es schienen Hunderte von
Stufen zu sein.
Keuchend ließ sie nicht locker,
bis sie am Ende eine solide Stahltür erreichte. Sie schlug mit beiden Fäusten
dagegen und stieß sie auf.
Blendendes Tageslicht ergoss
sich über sie. Ein kühler Novemberwind wehte über die Wiese um sie herum. Tess
ließ die Tür mit einem dröhnenden Knall hinter sich zufallen. Sie schlang sich
die Arme um die Brust und rannte weiter in einen kalten, hellen Morgen.
Dante stürzte zu Boden, gepackt
im eisernen Griff seines hartnäckigen, kräftezehrenden Albtraums. Die
Todesvision war ganz plötzlich gekommen und hatte sich verstärkt, während er
und Tess stritten.
Sie verschlimmerte sich noch,
nun, wo sie gegangen war.
Dante hörte die Tür oben
zuschlagen. Das kurze Aufblitzen von Tageslicht, das die lange Treppe
hinuntergeschossen kam, ließ ihn wissen, dass er ihr nicht folgen konnte:
Selbst wenn er die unsichtbaren Ketten brechen könnte, die ihn festhielten,
würden die erbarmungslosen Strahlen des Sonnenlichtes ihn davon abhalten, ihr
nachzusetzen.
Er sank tiefer in den
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