Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
musste fort. Wäre ich nicht
gegangen, hätte ich mich vielleicht nicht zufrieden gegeben mit nur einem
Kuss.“
„Mitten in einem Saal voller
Leute?“ Er sagte nichts, um ihr zu widersprechen. Und seine einladend
geschwungenen Lippen sandten Feuerpfeile durch ihre Adern. Tess schüttelte den
Kopf.
„Ich bin mir noch nicht mal
sicher, warum ich es überhaupt zugelassen habe.“
„Wäre es dir lieber, ich hätte
es nicht getan?“
„Es macht keinen Unterschied, ob
ich es wollte oder nicht.“
Sie verfiel in ein schnelleres
Tempo und ging vor ihm her.
„Du läufst schon wieder davon,
Tess.“
„Tu ich nicht!“ Der angstvolle
Ton ihrer Stimme überraschte sie. Und sie rannte wirklich, ihre Füße
versuchten, sie so weit wie möglich von ihm fortzutragen, auch wenn alles
andere in ihr von ihm angezogen wurde wie von einem Magnetfeld. Sie zwang sich,
stehen zu bleiben. Ruhig zu bleiben, als Dante neben ihr ankam und sie
herumdrehte, bis sie ihn ansah.
„Wir laufen alle vor etwas
davon, Tess.“
Sie konnte ein kleines,
verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. „Sogar du?“
„Sogar ich.“ Er starrte auf den
Fluss hinaus und nickte, als sein Blick zu ihr zurückkehrte. „Willst du die
Wahrheit wissen, die absolute Wahrheit? Ich laufe schon mein ganzes Leben lang
davon - und das ist länger, als du dir vorstellen kannst.“
Das fand sie schwer zu glauben.
Gut, sie wusste nur sehr wenig über ihn. Aber wenn sie ihn in einem Wort
beschreiben müsste, hätte sie es vermutlich mit dem Wort furchtlos getan.
Tess konnte sich nicht
vorstellen, was diesen extrem selbstbewussten Mann dazu bringen konnte, auch
nur eine Sekunde lang an sich selbst zu zweifeln. „Vor was, Dante?“
„Vor dem Tod.“ Einen Moment lang
war er still und nachdenklich. „Manchmal denke ich, wenn ich mich nur schnell
genug bewege, wenn ich mich nicht dazu hinreißen lasse, mich von Hoffnung oder
irgendetwas anderem festnageln zu lassen, das mich in Versuchung führt, einen
falschen Schritt zu tun …“
Er knurrte einen Fluch in die
Dunkelheit. „Ich weiß auch nicht.
Ich bin mir nicht sicher, ob es
möglich ist, seinem Schicksal zu entkommen, egal wie schnell oder wie weit wir
vor ihm davonlaufen.“
Tess dachte an ihr eigenes
Leben, ihre Vergangenheit, die sie verdammte und die sie schon so lange
verfolgte. Sie hatte versucht, vor ihr wegzulaufen, aber deshalb war sie
trotzdem immer da. Sie überschattete jede Entscheidung, die sie traf, und
erinnerte sie an den Fluch, der ihr nie erlauben würde, wirklich zu leben.
Sogar jetzt - und in letzter Zeit immer öfter - fragte sie sich, ob es nicht
wieder an der Zeit war weiterzuziehen, einen neuen Anfang zu machen.
„Was denkst du, Tess? Wovor
läufst du davon?“
Sie antwortete nicht, hin und
hergerissen zwischen dem Bedürfnis, ihre Geheimnisse für sich zu behalten, und
ihrer Sehnsucht, sich jemandem mitzuteilen. Jemandem, der vielleicht verstehen
konnte, wie ihr Leben in diese verfahrene Situation gekommen war. Der ihr
vielleicht sogar Absolution erteilen konnte.
„Ist schon gut“, sagte Dante
sanft, „du musst es mir jetzt nicht sagen. Komm, gehen wir eine Bank suchen,
damit du deinen Zucker und dein Koffein im Sitzen genießen kannst.
Von mir soll niemand behaupten
können, dass ich einer Frau ihre liebsten Laster vorenthalte.“
Dante sah Tess dabei zu, wie sie
ihren dicken, karamellgetränkten Brownie verputzte. Er konnte spüren, wie ihr
Genuss in den kleinen Raum abstrahlte, der sie auf der Bank am Flussufer
voneinander trennte. Sie hatte ihm einen Bissen angeboten, und obwohl seine
Spezies von den primitiven menschlichen Nahrungsmitteln nicht mehr als nur ein
paar Happen vertrug, nahm er einen kleinen Bissen des klebrigen
Schokoladenkuchens, um zumindest an Tess’ hemmungslosem Genuss teilzuhaben. Er
schluckte das schwere, eigentlich eher widerwärtige teigige Gebäck mit einem
gezwungenen Lächeln.
„Gut, nicht?“ Tess leckte sich
die schokoladenverschmierten Finger, schob einen nach dem anderen in den Mund
und leckte ihn sauber ab.
„Lecker“, sagte Dante, der sie
mit seiner Art von Hunger betrachtete.
„Du kannst noch mehr haben, wenn
du möchtest.“
„Nein.“ Er zog sich zurück und
schüttelte den Kopf. „Nein, das ist ganz deiner. Bitte. Genieß ihn.“
Sie aß den Brownie auf und trank
dann den Rest ihres Cappuccinos. Als sie aufstand, um die leere Papiertüte und
den Pappbecher in einen der Mülleimer im Park zu werfen,
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