Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
Tagesanbruch im Nacken. Uns bleiben nur
noch ein paar Stunden."
Sie
schüttelte den Kopf. „Ich muss mir wegen des Tageslichts keine Sorgen machen.
Ich kann allein in die Stadt zurück ..."
„Den Teufel
wirst du." Seine Hände waren grob, als er sie zu sich umdrehte, bis sie
ihn ansah. In seinen Augen glitzerten bernsteinfarbene Funken und eine
Gefühlsregung, die selbst in der Dunkelheit erstaunlich nach Angst aussah.
„Ohne mich
gehst du nicht mal in die Nähe von Fabien." Er strich ihr über die Stirn,
seine Augen brannten sich wild in ihre. „Wir hängen da gemeinsam drin, Renata.
Das weißt du doch, oder? Du weißt, dass du mir vertrauen kannst?"
Sie starrte
in Nikolais Gesicht und spürte, wie sich in ihrem Inneren ein Gefühlssturm zu
erheben begann und sie überflutete wie eine tosende Welle, die sie nicht
zurückhalten konnte. Tränen brannten in ihren Augen und füllten sie. Bevor sie
die Flut stoppen konnte, weinte sie schon, als wäre in ihr ein Damm gebrochen,
und all der Schmerz, den sie je gefühlt hatte - all der Schmerz und all die
Leere ihres Daseins -, brach nun in heftigem Schluchzen aus ihr heraus.
Nikolai
legte seine starken Arme um sie und hielt sie fest. Er versuchte nicht, ihre
Tränen zu trocknen. Er versuchte nicht, sie mit wohlmeinenden Lügen zu trösten
oder ihr falsche Versprechungen zu machen, um ihre Verzweiflung zu mildern.
Er hielt sie
einfach nur fest.
Hielt sie
fest und ließ sie damit wissen, dass er sie verstand. Dass sie nicht allein war
und dass sie es vielleicht doch irgendwie wert war, geliebt zu werden.
Er hob sie
hoch in seine Arme und trug sie von dem kugeldurchsiebten Schuppen fort.
„Suchen wir dir einen Ort, wo du dich ein bisschen ausruhen kannst", sagte
er, und sie spürte das Vibrieren seiner tröstlichen Stimme in seinem Brustkorb,
als sie sich an ihn klammerte.
„Ich kann
nicht zurück ins Jagdhaus, Nikolai. Ich werde nicht dort bleiben."
„Weiß ich
doch", murmelte er und trug sie tiefer in die Wälder. „Ich habe eine
andere Idee."
Er setzte
sie in einer laubübersäten Nische zwischen zwei hoch aufragenden Fichten ab.
Renata wusste nicht, was sie erwartete, aber sie hätte sich nie vorstellen
können, was im nächsten Augenblick geschah.
Nikolai
kniete sich in ihrer Nähe auf den Boden und breitete die Arme weit aus, mit
gesenktem Kinn, sein riesiger, muskulöser Körper war ein Beispiel tiefster
Konzentration. Um sich herum spürte Renata ein elektrisches Knistern. Sie roch
fette, fruchtbare Erde, wie im Wald nach einem Regenguss. Eine warme Brise
kitzelte sie im Nacken, als Niko auf beiden Seiten mit den Fingerspitzen den
Boden berührte.
Um sie herum
ertönte ein leises Rascheln im Gras - ein Flüstern lebendiger Vegetation.
Renata sah, wie sich unter Nikolais Händen etwas hervorkringelte, und keuchte
verwundert auf, als sie erkannte, was es war.
Winzige
Ranken schossen durch den Waldboden auf die beiden Fichten zu, zwischen denen
sie saß.
„Oh mein
Gott", murmelte sie, gebannt vor Staunen.
„Nikolai ...
was machst du da?"
„Keine
Angst", sagte er und sah den Ranken zu - lenkte sie, auch wenn es kaum zu
glauben war.
Die Triebe
schossen spiralförmig um die Baumstämme und kletterten höher, sie bekamen
Blätter, die sich unter ihren Augen explosionsartig vermehrten. Gut zweieinhalb
Meter über ihrem Kopf krochen die Ranken zwischen den beiden Fichten
aufeinander zu, drehten sich zusammen und schickten weitere Schösslinge zum
Boden hinunter. Sie erschufen ein lebendiges Laubzelt, das sich bis ganz auf
den Boden erstreckte, dort, wo Renata und Nikolai saßen.
„Du machst
das?", fragte sie ungläubig.
Er nickte,
behielt aber weiterhin seine Kreation im Blick, und immer neue Blätter
entfalteten sich an den Ranken.
Dicke,
duftende Laubwände bildeten eine schützende Zuflucht um sie herum, das üppige
Grün gesprenkelt mit denselben winzigen weißen Blüten, die Renata in Miras
Zimmer gefunden hatte.
„Okay ...
wie machst du das?"
Das Rascheln
wachsender Pflanzen legte sich, und Nikolai warf ihr einen lässigen Blick zu.
„Die Gabe meiner Mutter, die sie an ihre beiden Söhne vererbt hat."
„Wer ist
deine Mom, Mutter Natur?", sagte Renata und lachte entzückt, obwohl sie
wusste, dass die wunderschönen Blumen nur ein provisorischer Schutz waren. All
die Hässlichkeit und Gewalt da draußen blieben unverändert.
Nikolai
lächelte und schüttelte den Kopf. „Meine Mutter war eine Stammesgefährtin wie
du. Deine Gabe ist
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