Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
über die einfache Frage
nachzudenken, auf die Claire ihn soeben aufmerksam gemacht hatte.
Roth hatte etwas sehr Bedeutsames zu verbergen.
Etwas viel Weitreichenderes als seine Rolle bei
den kriminellen Seilschaften von Gaunern und Politikern aus dem Dunstkreis der
Agentur. Er musste ein Geheimnis von monumentalen Ausmaßen wahren.
Etwas, das es wert war, ohne Zögern das Leben
von über einem Dutzend Stammesangehörigen zu opfern. Und sogar noch mehr,
dessen war Reichen sich nun sicher.
Als er auf den dunklen Asphaltstreifen der
Straße hinausstarrte, kam ihm plötzlich ein Name in den Sinn: Dragos.
Herr im Himmel. Konnte es zwischen diesen
beiden eine Verbindung geben? War er kurz davor gewesen, ein Bündnis zwischen
Dragos und Roth aufzudecken?
Auch wenn er bisher schon Grund genug gehabt
hatte, den Orden in Boston zu kontaktieren - auf einmal konnte er ihn nicht
schnell genug erreichen.
Reichen trat aufs Gas, seine Gedanken rasten,
so finster wie die nächtliche Landschaft, die an den Fenstern des Geländewagens
vorbeiflog.
Einige Minuten nachdem sie die Stadt verlassen
hatten, entdeckte er ein Internetcafe. Er nahm die Ausfahrt und hielt darauf
zu, wobei er inständig betete, dass er sich irrte.
Und wenn sein Bauchgefühl nun doch recht hatte?
Ach Scheiße.
Wenn es recht hatte, dann hatte er gerade
seinen eigenen Sargdeckel zugenagelt, und den von Claire gleich mit.
Er ging mit ihr in das Cafe und suchte sich
einen unbesetzten Computer und Tisch, so weit von den anderen Gästen entfernt
wie nur möglich. Mit dem Geld, das er den toten Agenten abgenommen hatte,
bezahlte er eine Schale Suppe und ein Sandwich für Claire und sich selbst eine
Stunde Internet.
Während sie sich über ihr Essen hermachte,
öffnete er einen Browser und rief die gesicherte Seite auf, über die man den
Orden in Notfällen kontaktieren konnte. Die Seite war unauffällig, sie bestand
nur aus einem schlichten schwarzen Hintergrund, auf dem ein leeres Eingabefeld
blinkte und auf Input wartete.
Reichen tippte einen Zugangscode und das
Passwort ein, das Gideon ihm vor einigen Monaten in Boston gegeben hatte, als
er begonnen hatte, aus der Ferne für den Orden zu arbeiten. Er drückte auf die
Entertaste und wartete, unsicher, ob der individuelle Zugangscode, den man ihm
zugeteilt hatte, überhaupt noch gültig war. Dann verschwand das Eingabefeld,
und er starrte auf den leeren schwarzen Bildschirm.
„Und, funktioniert es?“, fragte Claire und
beugte sich dicht über ihn. Reichen schüttelte den Kopf.
Wahrscheinlich hatten die Krieger ihn
inzwischen abgeschrieben, hielten ihn für tot. Schließlich hatte er sich seit
der Zerstörung seines Dunklen Hafens vor drei Monaten nicht mehr bei ihnen
gemeldet.
„Diese Seite ist die Verbindung zum Bostoner
Hauptquartier. Sie ist komplett verschlüsselt und wird vom Orden ständig
überwacht. Sobald ich identifiziert bin, sollten wir eine Antwort von Gideon
bekommen.“
Kaum hatte er ausgeredet, erschien das
Eingabefeld wieder, mit der Aufforderung, seine Kontaktdaten einzugeben.
Reichen tippte die Nummer eines der Agenturhandys ein, mit dem Hinweis, dass
das Gerät gestohlen war, höchstwahrscheinlich abgehört wurde und alles andere als
sicher war.
Gideon antwortete prompt: Verstanden, kein
Problem. Rufe jetzt auf verschlüsselter Leitung an.
Das Handy klingelte.
Reichen nahm den Anruf entgegen. Eine
Computerstimme sagte: Identifizieren, bitte. Er nannte seinen Namen und eine
Reihe von Passwörtern.
„Verdammtes Glück, dass ich so faul war und
deine Zugangsdaten im System behalten habe“, sagte Gideon, als die Verbindung
zustande kam. „Himmel noch mal, schön, deine Stimme zu hören, Reichen.
Aus Deutschland hieß es nur, dass wir dich
verloren haben. Ich sehe, du hast dich in Hamburg eingeloggt.
Was zur Hölle ist da drüben los?“
Reichen versuchte, die Ereignisse der letzten
paar Wochen möglichst kurz und präzise zusammenzufassen, angefangen bei Wilhelm
Roths Überfall auf seinen Dunklen Hafen bis zu den systematischen, oft im
wahrsten Sinne des Wortes hitzigen Vergeltungsschlägen, die er seither an dem
Vampir und seinen bekannten Verbündeten verübt hatte.
Er sagte Gideon, dass Roth und seine
Spießgesellen von der Agentur ihm immer noch auf den Fersen waren und die
Situation sich eben noch weiter kompliziert hatte, weil jetzt auch Claire mit
ihm auf der Flucht war. Und das Thema Claire konnte er nicht erwähnen, ohne zu
gestehen, was er ihr in Roths Büro
Weitere Kostenlose Bücher