Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
Waffen,
Schlüssel, Handys und Bargeld ab, dann machte er Claire ein Zeichen, ihm zu dem
Geländewagen zu folgen, der draußen auf der Straße geparkt war.
„Wohin fahren wir?“, fragte sie ihn, als sie in
das Fahrzeug stiegen und Reichen mit quietschenden Reifen losfuhr. „Es wird
nicht lange dauern, bis Wilhelm uns die halbe Agentur auf die Fersen hetzt.“
Reichen quittierte die Bemerkung mit einem
grimmigen Nicken. „Wir können nicht in Hamburg bleiben. Es wäre wahrscheinlich
klüger, ganz aus Deutschland zu verschwinden.“
„Und wohin? Er hat Kontakte in ganz Europa. In
den Dunklen Häfen oder der Agentur können wir niemandem mehr trauen. Man würde
uns bei der erstbesten Gelegenheit an ihn ausliefern.“
„Dem Orden können wir vertrauen.“
Im Augenwinkel sah Reichen, dass Claire
zweifelte.
„Dem Orden? Was ich über die gehört habe, sind
sie alles andere als hilfsbereit. Warum würde eine gefährliche Killertruppe in
den Staaten uns helfen wollen?“
Reichen widerstand dem Drang, ihre Meinung über
den Orden zu korrigieren. So wie sie dachte der Großteil der Vampirbevölkerung
schon seit Generationen, auch wenn es ungerechtfertigt war. Er warf ihr einen
Seitenblick zu. „Ich habe seit fast einem Jahr immer wieder mit Lucan, Tegan
und den anderen Kriegern zusammengearbeitet. In der Nacht, als mein Dunkler
Hafen angegriffen wurde, war ich nicht in Berlin, sondern in einer
Ordensmission unterwegs. Wir waren dabei, Informationen über einige Gen-Eins-Morde
zu sammeln und möglichen Verbindungen zu Blutclubs in ganz Europa nachzugehen.“
„Du und der Orden... arbeitet zusammen?“ Sie
wurde sehr still und sah ihn nachdenklich an, als er den Geländewagen auf eine
verkehrsreiche Allee lenkte, die aus Hamburg hinausführte. „Es gibt so viel,
was ich nicht über dich weiß, Andre. Alles an dir scheint jetzt so anders.“
Nicht alles, dachte er und erinnerte sich nur
allzu gut daran, wie vertraut es sich angefühlt hatte, als sie sich an ihn
gepresst hatte, an ihren Mund auf seinem in einem hitzigen Kuss.
Sie erweckte in ihm Gefühle von Besitzgier, und
er wollte sie um jeden Preis beschützen. Genau was er damals, schon ganz am
Anfang ihrer Beziehung, für sie empfunden hatte. Die Zeit hatte nichts daran
geändert - wenn das momentan auch kein Grund für Freudenausbrüche war.
Er wurde fast von dem Wunsch überwältigt, sie
fest in den Armen zu halten, jetzt auf der Stelle. Er wusste, dass ihr nichts
weiter fehlte, aber allein schon der Gedanke daran, dass die Agenten sie
gestoßen hatten - ihr einen Elektroschock versetzt hatten, verdammt noch mal! -
, brachte sein Blut vor Wut zum Kochen. Ihre Angst und ihre Schmerzen hallten
immer noch als fernes Echo in seinen eigenen Venen nach.
Es gab allerdings eine Sache, die jetzt anders
an ihm war als früher: die Verbindung, die er ihr mit seinem ungebetenen Biss
gestohlen hatte. Auch wenn Claire ihn deswegen noch nicht verdammt hatte, würde
er für den Rest seines Lebens an der Schuld für seine Tat tragen. Besonders
dann, wenn er das Leben aus Wilhelm Roth herausgepresst und sie zur Witwe
gemacht haben würde.
Ein eigensüchtiger Teil von ihm fand die
Aussicht auf Roths unmittelbar bevorstehenden Tod sogar noch attraktiver, wenn
Claire dadurch frei kam und sich einen neuen Gefährten erwählen konnte.
Besonders, wenn er selbst dieser neue Gefährte
sein konnte. Aber auch wenn er sich schon durch ihr Blut mit ihr verbunden
hatte, verdiente Claire mehr als das, was er ihr geben konnte. So wie es schon
immer der Fall gewesen war.
„Hast du Hunger?“, fragte er sie, begierig,
sich abzulenken von seinen Grübeleien darüber, was er ihr alles angetan hatte,
jetzt und damals. „Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen. Du musst am
Verhungern sein.“
Sie zuckte verhalten die Schultern. „Ich weiß
nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt schon anzuhalten...“
„Du brauchst etwas zu essen“, sagte er,
schärfer als beabsichtigt. „Wir halten an.“
Als Stammesgefährtin hingen Claires Gesundheit
und alterslose Langlebigkeit davon ab, dass sie regelmäßig das Blut eines
Stammesvampirs zu sich nahm, aber ihr Körper brauchte trotzdem Essen, um zu
funktionieren. Es war Reichen verdammt noch mal lieber, Zeit darauf zu
verwenden, ihr ein Sandwich zu besorgen, als darüber nachzudenken, wie Wilhelm
Roth Claire auf die Weise nährte, wie es nur ihr wahrer Gefährte tun konnte.
Wie lange es wohl schon her war, seit sie zuletzt Nahrung aus
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