Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
überlebt hatte. Ihr Gefühl von
Schuld und Unbehagen verstärkte sich, wie auch der nervöse Knoten in ihrem
Bauch. Ihre Nerven waren ungewöhnlich angespannt, schickten ein ängstliches
Flattern in ihre Brust.
Andreas legte Tegan die Hand auf die Schulter,
als sie ihr leises Gespräch fortsetzten. „Ich will, dass du mir etwas
versprichst, mein Freund. Wenn sich herausstellen sollte, dass Dragos auch nur
entfernt damit zu tun hat, was mit meinem Dunklen Hafen geschehen ist, werde
ich alles tun, um euch zu helfen, den Mistkerl zu kriegen und auszuschalten.
Aber Roth gehört mir allein. Kannst du mir so viel versprechen?“
Der Krieger nickte langsam. „Ich kenne die Art
von Hass, den du gerade fühlst. Mir ging es genauso. Ich bin der Letzte, der
dir sagt, wie du mit deinen Dämonen fertig werden sollst, aber sei einfach
vorsichtig, okay? Es laufen so viele Bastarde frei herum, die es mehr als
verdient haben, abgeknallt zu werden, aber Rache frisst einen auf, wenn man sie
nicht in den Griff bekommt.“
Der Rat kommt wohl schon zu spät, dachte Claire
und registrierte Andreas' starre Haltung und seinen harten, getriebenen Blick,
als alle zusammen auf den wartenden Geländewagen zugingen. Sein Drang, seine
Familie und seine sterbliche Geliebte zu rächen, schien durch die Tatsache,
dass die Gerechtigkeit, nach der er dürstete, erst noch in die Tat umgesetzt
werden musste, immer stärker und explosiver, zu werden.
Nach den Schrecken, die er ihr in seinem Traum
gezeigt hatte, konnte sie diese Wut zum Teil verstehen, sogar nachvollziehen.
Aber nach allem, was sie in diesen letzten Tagen von ihm gesehen hatte, machte
sie sich Sorgen, dass ihm an seinem eigenen Leben womöglich überhaupt nichts
mehr lag.
Wäre ihm überhaupt noch etwas heilig, wenn er
endlich die Chance bekam, den Mann zu vernichten, der ihn so verletzt hatte?
Wilhelm.
Allein beim Gedanken an ihn drehte sich ihr vor
Verachtung der Magen um. Claire hatte nun keine Hoffnung mehr, dass Andreas'
Anschuldigungen gegenüber Wilhelm haltlos waren. Aber was ihr am meisten zu
schaffen machte, war, dass ihre Beziehung zu Andreas nichts Gutes bringen würde
- ihnen beiden nicht.
Er schien ihre Zuneigung weder zu wollen noch
zu brauchen. Er lebte jetzt nur noch für einen einzigen Zweck, und sie kannte
ihn gut genug, um zu verstehen: Wenn er zwischen seinem eigenen Leben und der
Gerechtigkeit wählen musste, nach der er dürstete, dann würde er bis zum
letzten Atemzug dafür kämpfen, dieses Ziel zu erreichen.
Der Gedanke, dass Andreas sterben könnte - schon
zum zweiten Mal, nachdem er so wundersam auferstanden und in ihr Leben
zurückgekehrt war-, war Claire unerträglich. Er brachte sie fast zum Stolpern,
als sie sich dem Fahrzeug näherte und von der Stadt her kühle Nachtluft
heranwehte.
Das seltsame Unbehagen ließ sie nicht mehr los,
und in ihren Venen schwoll ein ungutes Summen an.
Immer stärker nahm sie jetzt eine andere
Präsenz wahr, die sie bisher nicht hatte zuordnen können, erst jetzt, als es in
ihren Zellen wie von einem Alarmsignal schrillte.
Wilhelm war in der Nähe.
Oh Gott. Wie hatte ihr das nur entgehen können?
Sie war mit Andreas, seinen Freunden und ihrem
eigenen Gefühlschaos so beschäftigt gewesen, dass sie die Signale ihres Körpers
nicht wahrgenommen hatte, der ihr durch ihre Blutsverbindung sagte, dass ihr
Gefährte irgendwo in der Nähe war.
Irgendwo in der Stadt Boston, sie war sich ganz
sicher.
Was tat er hier?
„Claire, alles in Ordnung?“ Elise legte ihr
besorgt die Hand auf den Arm. „Ist was mit Ihnen?“
Sie schüttelte den Kopf, noch heftiger, als
Andreas mit Tegan stehen blieb und ihr einen fragenden, argwöhnischen Blick
zuwarf.
„Mir ist etwas schwindlig“, sagte sie und griff
zur nächstbesten Ausrede, um Andreas nicht sagen zu müssen, dass der Feind, den
er töten wollte - und der gleichermaßen entschlossen war, ihn zu töten - ,
vermutlich nur ein paar Kilometerweit von ihm entfernt war. Andreas durfte
nicht wissen, dass Wilhelm so nahe war. Sie durfte es ihn nicht wissen lassen,
dachte sie, und ein plötzliches Grauen kroch ihr die Kehle empor.
„Was hast du?“ Andreas' tiefe Stimme klang
besorgt, reichte aber nicht aus, die Angst zu beschwichtigen, die sich jetzt in
ihr erhob.
„Nichts“, sagte sie und log ihn nur an, weil
die Wahrheit ihn sofort losstürmen lassen würde, dem Tod geradewegs in die
Arme. „Alles bestens. Ich bin nur eine Weile nicht mehr geflogen,
wahrscheinlich
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