Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
leide ich nur etwas an Luftkrankheit. Das wird schon wieder, ich
brauche nur einen Augenblick Ruhe, bis es vorbeigeht, das ist alles. Gibt es
hier irgendwo eine Toilette?“
„Dort drüben“, sagte Elise und zeigte auf das
Terminalgebäude in der Nähe. „Ich begleite Sie...“
„Nein“, platzte Claire heraus. „Ich finde mich
schon allein zurecht. Bitte... wartet hier. Ich bin in ein paar Minuten
zurück.“
Alles, was sie davon abhielt, loszurennen, war
Andreas' zweifelnder Blick.
Er musste wissen, dass sie sich in einem
emotionalen Aufruhr befand; die Blutsverbindung, die ihn jetzt an sie band,
würde ihm das sofort sagen.
Aber es war ihre andere Verbindung - die sie
zeit ihres Lebens an Wilhelm Roth kettete - , die sie in heller Panik
davontrieb.
Sie floh in die Toilette, atemlos und zitternd.
Wenn sie in ihrem Blut spürte, dass Wilhelm in der Nähe war, dann musste er
seinerseits wissen, dass sie in der Stadt war. Dass er sie womöglich suchen
würde, war zu entsetzlich, um auch nur darüber nachzudenken.
Und wenn Andreas sie im umgekehrten Fall dazu
zwang, Wilhelm durch ihre Blutsverbindung aufzuspüren? Das würde sie sich nie
verzeihen, und ihm auch nicht.
Und dann war da noch eine schwerwiegendere,
noch beunruhigendere Frage. Was, wenn Wilhelm Roth wirklich in etwas Größeres
verwickelt war, als sie je geahnt hatte - wenn er mit Dragos im Bunde war?
Welche Chancen hatte Andreas gegen Wilhelms
Killerkommandos und, noch schlimmer, gegen das größere Übel, einen Feind, den
bisher nicht einmal der Orden hatte besiegen können?
Oh Gott. Sie durfte Andreas einfach nicht
wissen lassen, dass Wilhelm in der Gegend war.
Sosehr er auch seine Rache wollte, Claire
wünschte sich noch mehr, dass er am Leben blieb. Sie wollte sich nicht zum
Instrument seiner Vernichtung machen lassen, und genau das war sie gerade,
solange sie weiter mit ihm zusammenblieb.
Sie musste aus Boston weg.
Sie musste weit weg von Andreas ... bevor ihre
Verbindung zu Wilhelm sie verriet und ihn direkt in seinen Tod führte.
„Seid ihr sicher, dass ihr das gesehen habt?
Denn das ist eine verdammt ernste Sache, ich muss mir absolut sicher sein.“
Lucan, der unruhig im Techniklabor auf- und abgegangen war, blieb stehen, um
Kade und Brock anzusehen, die gerade mit höllischen Neuigkeiten von der
Patrouille zurückgekommen waren.
„Kein Zweifel. Wir sind beide sicher, dass es
Hunter war.“
„Ja“, sagte Kade und fuhr sich mit den Fingern
durch seinen Struppigen schwarzen Haarschopf.
Seine quecksilberfarbenen Augen mit den dunklen
Wimpern hielten Lucans Blick stand. „Er war es. Diese Glyphen sind schwer zu
verkennen, und es ist ja nicht so, dass wir jede Nacht auf der Patrouille mit
einem Gen Eins zusammenstoßen.“
Lucan grunzte. „Und er hat euch beide gesehen?
Hat er euch auch erkannt?“
„Der Bastard hat uns sogar noch direkt
angesehen, bevor er in die Stadt verschwunden ist“, erwiderte Brock. Der
schwarze Krieger bleckte in einem kaum verhohlenen Fauchen die Zähne.
„Als wollte er sogar, dass wir ihn sehen. Als
wollte er, dass wir sehen, was er getan hat.“
Während Lucan diese Neuigkeiten in sich
aufnahm, öffnete sich abrupt die Glastür des Techniklabors und Chase kam in den
Raum gestapft. Er roch nach Pulver, Adrenalin und dem typisch metallischen
Geruch von gerinnendem menschlichem Blut.
Prompt drehte Gideon sich von seinen
Computermonitoren weg, über die gerade eine lange Liste von gehackten Daten
lief.
„Himmel, Harvard. Was ist denn mit dir
passiert?“
Der ehemalige Agent ließ sich schwer in den
nächsten Stuhl fallen, riss sich die schwarze Strickmütze herunter und warf sie
vor sich auf den Konferenztisch. „Ich habe die letzte Stunde damit verbracht,
im Norden der Stadt ein totes Gangmitglied verschwinden zu lassen. Jemand hat
dem Bastard die Kehle zerfetzt und ihn praktisch ausbluten lassen. Hat ihn da
einfach liegen lassen, in aller Öffentlichkeit. Man hätte ihn jederzeit finden
können.“
Lucan fing Kades Seitenblick auf. Die
beschriebenen Verletzungen und die dreiste Art des Angriffs waren zu verdammt
ähnlich, um ein Zufall zu sein. „Hast du eine Spur von dem Vampir gesehen, der
das getan hat?“
Chase sah auf und zögerte, als sei er nicht
sicher, ob er seinen Verdacht laut äußern sollte. „Ich habe jemanden in der
Gegend gesehen, aber er ist abgehauen, bevor ich nahe genug rankam, um ihn
eindeutig zu identifizieren.“
„Dafür sind wir nahe genug an den
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