Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
letzter Nacht. Sie hatten einen unglaublichen Abend
miteinander verbracht, sich geliebt in dem Wohnzimmer mit Blick auf den
Atlantik und dann noch einmal oben, auf dem Himmelbett in dem palastartigen
Schlafzimmer, das Claire als junge Frau im Haus ihrer Großmutter bewohnt hatte.
Und dann noch einmal diesen Morgen vor Tagesanbruch, nachdem sie aufgestanden
war und kontrolliert hatte, dass all die Läden und Vorhänge fest geschlossen
waren, um ihn vor der Sonne zu schützen.
Er wäre ihr gern in die Dusche gefolgt, bevor
sie aufgebrochen war, um ihre Einkäufe zu erledigen, aber sie hatte ihn sanft
gerügt, sich zu gedulden, sie würden später noch jede Menge Zeit zusammen
haben.
Aber diesen Luxus hatten sie nicht, und er
wusste es. Es war einfach, sich vorzustellen, dass ihr Wiedersehen - diese
Atempause in idyllischer Umgebung, ohne ständig an die Schrecken erinnert zu
werden, die sie in Deutschland hinter sich gelassen hatten - ewig dauern
konnte.
Denn das konnte es nicht.
So gut es sich auch anfühlte, wieder mit Claire
zusammen zu sein, sie konnten nicht mehr lange in Newport bleiben. Solange Roth
nicht gefunden und ausgeschaltet war, musste sie an einen sicheren Ort, weit
aus seiner Reichweite. Das würde ihr gar nicht gefallen, aber solange Roth am
Leben und in der Lage war, sie in die Hand zu bekommen, musste sie unter den
Schutz des Ordens gestellt werden, und zwar je eher, desto besser.
Und was ihn selbst anging, gab Reichen jede
Minute, die er nicht mit der Suche nach Roth beschäftigt war, dem Bastard
Gelegenheit, sich tiefer einzugraben, wo auch immer er steckte, und seine
Machenschaften fortzusetzen, vermutlich sogar zusammen mit Dragos. Reichen
wusste, er sollte eigentlich jeden wachen Moment und all seine Kräfte
daransetzen, Roth aufzuspüren. Rache brannte immer noch in seinen Eingeweiden,
und sein Problem mit Wilhelm Roth war nicht einfach aus der Welt geschafft, nur
weil er jetzt Claire hatte, die ihm Herz und Bett wärmte.
Ein Stammesvampir, der so abgrundtief bösartig
war wie Roth, durfte nicht am Leben bleiben. Und schon gar nicht, wenn er
womöglich vorhatte, Claire dafür zu bestrafen, dass sie sich wieder in Reichens
Leben hatte hineinziehen lassen.
Diese düsteren Gedanken waren es, die ihn dazu
brachten, nach dem Handy zu greifen, das Tegan ihm gegeben hatte. Er drückte
die letzte Kurzwahltaste.
Gideons Stimme mit dem leichten britischen
Akzent meldete sich schon nach dem zweiten Klingeln.
„Was gibt's?“, fragte er putzmunter, trotz der
Störung am frühen Morgen.
„Ich bin's, Reichen. Entschuldige, dass ich
letzte Nacht nicht mehr angerufen habe.“
„Kein Problem. Wo bist du?“
Noch nackt nach dem Duschen, lehnte er sich auf
einem verhüllten Stuhl zurück.
„Newport, Rhode Island.“
„Hast du deine Frau gefunden?“
„Ja“, antwortete Reichen und hielt sich nicht
damit auf, klarzustellen, dass sie gar nicht seine Frau war.
„Alles bestens. Claire ist in Sicherheit und
ich auch.
Habt ihr schon etwas über Roth herausgefunden?“
„Noch nicht, aber wir sind dran. Ich verfolge
eben ein paar internationale Spuren. Glaub mir, wir sind genauso wild darauf,
uns diesen Bastard zu kaufen wie du. Er dürfte momentan unsere einzige
Verbindung zu Dragos sein, also klemmen wir uns mächtig hinter jeden einzelnen
Informationsschnipsel, den wir über ihn bekommen.“
Als Gideon redete, spürte Reichen wieder, dass
er eigentlich dort sein sollte. Zusammen mit den Kriegern sollte er jeden Stein
umdrehen, bis sie Roths Aufenthaltsort gefunden hatten, und ihnen helfen, den Bastard
auszuräuchern. Er brannte darauf, das zu tun, ihm juckten die Finger vor lauter
Drang, das Leben aus Roth zu würgen für alles, was er getan hatte.
„Also, was ist da drüben in Newport los?“,
fragte Gideon. „Sitzt du da noch eine Weile fest?“
„Nein“, sagte er, zerrissen zwischen dem, was
sein Herz wollte, und dem, was seine Pflicht ihm abverlangte. „Es wird keine
weiteren Verzögerungen geben. Ich muss hier noch ein paar Dinge klären, aber
Claire und ich können heute Nacht startbereit sein, wenn jemand kommen und uns
abholen könnte.“
„Kein Problem. Ich schicke euch einen von den
Jungs raus, er dürfte etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang dort sein.“
Reichen runzelte die Stirn und berechnete die
kurze Zeitspanne, die ihm noch blieb, um Claire die Neuigkeiten beizubringen,
dass er sie aus ihrem Zuhause reißen würde - schon wieder.
„Ich brauche dafür noch etwas
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