Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
dunkler Kopf war tief gesenkt.
Winzige, pulsierende Lichtwellen schossen über
seinen ganzen Körper. Es war nicht diese ganz intensive Hitze, die sie die
letzten Male miterlebt hatte, sondern eine etwas abgeschwächte Form der
Energie. Viel weniger explosiv, aber doch stark genug, um ihre Glieder und
ihren Hals zum Prickeln zu bringen. Als sie ihn ansah, begannen die
pulsierenden Lichtwellen langsamer und schwächer zu werden. Und wenig später
waren sie vollständig verblasst.
Andreas war so ruhig und so tief in seine
Meditation versunken, dass Claire ihn am liebsten nicht gestört hätte.
Aber es war schon zu spät. Er drehte den Kopf
und öffnete die Augen, sein Blick durchdrang sie mit einem Strahl des
bernsteinfarbenen Lichts, das seine Iriskreise überflutet hatte.
„Du solltest nicht hier sein“, sagte er mit
tödlich leiser und wegen der Fangzähne etwas undeutlicher Stimme. „Geh weg,
Claire. Ich will nicht, dass du mich so siehst.“
Sie musste ihn nicht fragen, was er damit
meinte, denn obwohl die Macht der Pyrokinese über seinen Körper nachgelassen
hatte, war das Leid, das er in Wellen ausströmte, fast mit Händen zu greifen.
Ein unersättlicher Blutdurst hatte ihn gepackt. Seine ausgefahrenen Fänge und
transformierten Augen zeigten das zur Genüge, doch es waren seine Dermaglyphen,
die ihn wirklich verrieten. Die Hautmuster, die in seinem offenen Hemdkragen zu
sehen waren, pulsierten wild in den Farben des Hungers.
Langsam ging Claire weiter in die Kapelle.
„Bist du in Ordnung?“
Er knurrte animalisch und drohend, als sie sich
ihm näherte. Claire dachte schon, er würde aufstehen und vor ihr zurückweichen,
aber er blieb auf den Knien, als sie zu der Bank hinüberging, die ihm am
Nächsten war, und sich langsam setzte.
Die Vision, die sie in Miras Augen gesehen
hatte, war immer noch sehr lebendig in ihr, doch als sie Andreas jetzt ansah,
spürte sie vor allem Sorge um ihn. Sie wollte die Hand nach ihm ausstrecken,
ihm das vom Regen zerzauste Haar aus dem Gesicht streichen, aber sie hielt ihre
Hände bei sich, unsicher, wie er auf eine freundliche Geste reagieren würde, so
wie die Dinge nun zwischen ihnen standen.
„Wohin bist du heute Nacht gegangen, Andre?“
„Hat Tegan dir nichts gesagt? Wie er mich von
einem Menschen herunterzerren musste, weil ich den armen Bastard sonst
ausgesaugt hätte? Hat er dir nicht gesagt, dass er mir kalten Stahl an die
Schläfe drücken und drohen musste, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen, um mich
zur Vernunft zu bringen?“
Claire schluckte. „Nein. Davon habe ich nichts
gewusst.“
Er sah von ihr fort, schüttelte den Kopf und
starrte in die flackernde Flamme der purpurroten Altarkerze.
„Solange du keine Pistole irgendwo am Körper
trägst, rate ich dir, dich umzudrehen und dich schleunigst vor mir in
Sicherheit zu bringen, solange du noch kannst.“
Sie hörte die Gefahr in seiner seltsam
beherrschten Stimme, aber sie blieb, wo sie war. „Ich bin gekommen, weil ich
mir heute Nacht Sorgen um dich gemacht habe. Und weil vorhin etwas geschehen
ist, das mir Angst eingejagt hat.“
Er warf den Kopf herum und starrte sie finster
an, seine Brauen senkten sich über das helle Bernsteingelb seiner
durchdringenden Augen. „Was ist passiert? Hat es mit Roth zu tun? Hat er wieder
etwas getan, um dir wehzutun?“
„Nein, das ist es nicht. Aber ich habe etwas
gesehen, das sicher mit ihm zu tun hat.“ Auf sein fragendes Stirnrunzeln fuhr
sie fort. „Es ist ein Kind hier im Hauptquartier, mit einer Sehergabe...“
„Mira“, sagte er. Die Krieger hatten ihm von
dem Mädchen erzählt.
„Ja, Mira. Vor ein paar Minuten habe ich in
ihren Augen etwas Schreckliches gesehen. Ich habe deinen Tod gesehen, Andreas.“
Claire stieß einen leisen Seufzer aus und schloss einen Moment die Augen, es
schmerzte sie, diese Worte auszusprechen. „Ich habe einen Krater voller Feuer
und Trümmer gesehen, und du warst darin. Ich habe versucht, dich zu retten,
aber ich konnte dich nicht rechtzeitig erreichen. Und das Feuer war so heiß...“
Er fluchte leise und stand auf. Seine finstere
Miene machte deutlich, dass er all das nicht hören wollte, aber sie unterbrach
ihn, bevor er etwas sagen konnte.
„Ich habe deinen Tod gespürt, Andre. Ich war
dort, in der Vision. Es war real. Wenn du diesen Drang, Wilhelm Roth zu
vernichten, nicht besiegen kannst, wirst du sterben.“
Er hörte zu, sein Kiefer in grimmiger Akzeptanz
zusammengepresst. Als wüsste er schon
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