Midnight Fever: Verhängnisvolle Nähe (German Edition)
man sich in seiner Lebensweise nicht einengen und ergreift die entsprechenden Maßnahmen. Man stellt ein Kindermädchen ein, versorgt das Kind mit reichlich Spielzeug, lässt ihm gute Manieren beibringen, schickt es auf eine teure Privatschule. Das haben auch unsere Eltern für uns getan. Und dann … dann kam Claire zur Welt, und wir schlossen sie ins Herz.
Als sie mir das erste Mal in die Arme gelegt wurde, hat sie mich verzaubert. Sie war von Anfang an ein Sonnenschein, ein entzückendes, schönes, kluges Kind. Elisa und ich fanden die Abende zu Hause mit unserer kleinen Tochter viel schöner als die Gesellschaften, die wir sonst besuchten.« Er seufzte mit dem zittrigen Atem des Greises. »Rückblickend war das vielleicht unser erster Fehler. Claire wuchs in einer behüteten Welt auf, mit vernarrten Eltern, einem liebevollen Kindermädchen und Rosa, die sie liebt wie ihre eigene Tochter. Sie war ein zartes kleines Mädchen und oft krank. Der Kinderarzt sagte, Kinder von älteren Eltern seien häufig schwächlich und wir müssten gut auf Claire achtgeben. Einmal verpasste sie sehr viel Unterricht, und wir mussten eine Hauslehrerin einstellen. So war es einfacher. Schließlich wurde sie fast nur noch zu Hause unterrichtet. Sie spielte selten mit anderen Kindern, da wir fürchteten, sie könnte sich mit irgendetwas anstecken. Inzwischen sehe ich, dass Kinder so nicht aufwachsen sollten. Das Ergebnis war, dass Claire nicht wusste, wie hässlich und gewalttätig es in der Welt zugeht. Sie war immer von liebenden Erwachsenen umgeben gewesen. Das hätte sich im Jugendalter sicher geändert, aber als sie dreizehn war, … da …«
Parks’ Stimme wurde rau, und er schluckte hastig. »Sie wurde krank. Leukämie. Wir waren zutiefst erschüttert.« Er blickte in sein Glas, auf die Wellen, die seine zitternde Hand auslöste. »Elisa starb vor Kummer. Ein paar Tage, nachdem uns die Ärzte mitgeteilt hatten, dass es für Claire wenig Hoffnung gebe, bekam sie einen Herzinfarkt. Wir waren so glücklich gewesen auf unserer Insel der Seligen. Eben noch war ich ein liebender Ehemann und hingebungsvoller Vater, plötzlich hatte ich meine Frau verloren und musste überdies mit dem Verlust meiner Tochter rechnen.«
Er drückte sich das Glas an die Stirn. Als er aufblickte, waren die hellen Augen blutunterlaufen. Er sah noch älter aus als ohnehin. »Claire verblüffte uns alle. Sie kämpfte wie eine Tigerin um ihr Leben. Im ersten Jahr wurde sie fünfmal vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht. Jedes Mal hieß es, es gebe keine Hoffnung, und trotzdem erholte sie sich wieder. Sie wusste alles über ihre Krankheit, las, was sie in die Finger bekommen konnte. Ich konnte es kaum glauben, als ich meine dreizehnjährige Tochter ein renommiertes Medizinhandbuch lesen sah. Sie verstand jedes Wort. Sie bestand darauf, sich Behandlungen im Versuchsstadium zu unterziehen, allen, die sie im Internet finden konnte. Die meisten waren extrem schmerzhaft, aber sie weinte und beklagte sich nicht. Nicht einmal. Sie war viel stärker als ich. Häufig kam es so weit, dass sie
mich
trösten musste.«
Das Zittern der Hände war schlimmer geworden. Er musste sein Glas absetzen. »Um ihren fünfzehnten Geburtstag herum bekam sie eine Knochenmarkstransplantation als letzte Überlebenschance. Sie schlug fehl. Danach konnte man nichts mehr für sie tun. Die Ärzte fingen an, mit mir über eine Patientenverfügung zu sprechen, darüber, wann man den Stecker ziehen sollte …« Er atmete tief durch. »Sie wurde künstlich beatmet. Ich saß nächtelang bei ihr, was mich völlig erschöpfte. Die Ärzte sagten, ich säße im Grunde am Bett einer Sterbenden. Es kam eine Nacht …« Er hielt inne, schnappte nach Luft und rang um Fassung. »Es kam eine Nacht, in der Claire schreckliche Schmerzen hatte und kaum noch atmen konnte. Ich dachte, ich werde verrückt. Dieses angestrengte Luftholen, und dabei stöhnte sie mit zusammengebissenen Zähnen, weil sie keine Schmerzmittel nehmen wollte. Eine Überdosis Morphium ist eine kultivierte Art, sehr kranken Patienten den Gnadenstoß zu geben, und das wusste sie. Irgendwann …« Er stockte keuchend, und an seiner Schläfe sah Bud eine Ader pochen. »Irgendwann in dieser endlosen Nacht«, fuhr er kaum hörbar fort, »betete ich, Gott möge sie zu sich holen. Ich war tatsächlich so weit, zu beten und zu hoffen … mein kleines Mädchen … möge schneller … sterben.«
Seine mühsam aufrechterhaltene Fassung fiel
Weitere Kostenlose Bücher