Midnight Man (02) – Gefährliche Mission
Er ging ein paarmal am Fenster entlang, und ich konnte ihn und die Waffe als Silhouette sehen. Aber sein Gesicht habe ich nicht erkennen können. Er stolperte ständig und schaute, wohin er trat. Er fand sich in der Einrichtung überhaupt nicht zurecht. Die Möbel sind ungewöhnlich angeordnet, Feng-Shui-gemäß.«
Buds Stift hielt inne. Johns wandernder Blick kehrte abrupt zu ihr zurück. Zwei Kriminaltechniker blickten auf.
»Wie gemäß?«, fragte Bud.
»Feng-Shui.« Angesichts der verständnislosen Blicke lächelte sie. Sie hatte bei Li Yung persönlich Unterricht genommen, der es auf Mandarin wie »Fang Scheu« aussprach. »Davon habt ihr sicher schon gehört.«
Bud legte den Stift hin und rieb sich die Nasenwurzel. »Suzanne«, sagte er, »du wirst dich schon klarer ausdrücken müssen, sonst komme ich nicht mit. Wie heißt das Wort?«
»Es sind zwei Wörter. Feng-Shui. Das heißt ›Wind und Wasser‹.«
Bud und John wechselten einen Blick.
»Dein Wohnzimmer ist nach Wind und Wasser eingerichtet?«, hakte Bud vorsichtig nach.
Es tat gut, etwas zum Schmunzeln zu haben. »Das ist die alte chinesische Kunst, die Energieströme in einem Raum zu nutzen. Die Chinesen glauben, dass Energie in bestimmte Richtungen fließt, und man stellt Möbel und andere Gegenstände so auf, dass man sie in eine günstige Richtung lenkt. Daraus ergibt sich, dass die Möbel nicht nach westlicher Art rechtwinklig angeordnet sind. Der Mann stieß gegen einen Fußschemel, wo er einen Sessel vermutet hatte, und gegen einen Tisch, wo er freien Durchgang erwartet hatte.«
Sie hätte ebenso gut chinesisch reden können. Bud sah zu seinen Leuten, dann zu John und zuckte die Achseln. »Okay. Du sahst den Kerl also im Dunkeln herumstolpern. Was tatest du dann?«
»Ich bin so leise wie möglich zurück ins Schlafzimmer gelaufen und habe John angerufen.«
»Warum John? Warum nicht die Polizei? Warum nicht mich?«
Suzanne zuckte mit einer Schulter. Die Antwort lag klar und deutlich in jeder Linie dieses großen Körpers, in der grimmigen Spannkraft jeder seiner Bewegungen, in der Art, wie er seine Waffe hielt, wie er mit permanenter Wachsamkeit dafür sorgte, dass ihn nichts überraschen konnte. Warum John, war also völlig klar.
John sah sie mit schmalen Augen an. Sein Blick war so intensiv, dass sie kaum richtig atmen konnte. Sein Kinn war schwarz von den nachgewachsenen Bartstoppeln. An ihrem Abend im Restaurant war er glatt rasiert gewesen. Er gehörte vermutlich zu den Männern, die sich zweimal am Tag rasieren mussten. Mit den Bartstoppeln wirkte er noch zwielichtiger, noch gefährlicher. Wie ein Mann, mit dem man sich nicht anlegen wollte.
»Ich dachte, er ist am nächsten«, flüsterte sie. John richtete erneut seinen bezwingenden Blick auf sie. Er war wie eine Naturgewalt. Und prompt fiel ihr ein, wie lebendig sie sich neben ihm gefühlt hatte, wie stark die übrigen Gäste im Restaurant in den Hintergrund getreten waren. Er hatte ihr ganzes Blickfeld ausgefüllt. Sie dachte an seine ungestümen Küsse, die Kraft seiner Hände auf ihr, die harten, heißen Stöße seines Penis.
Sie dachte auch an diesen Moment im Kleiderschrank. Solch ein Augenblick konnte einen Menschen und sein weiteres Leben verändern – der Augenblick, in dem das Flugzeug durchsackt, der Wagen zu schleudern anfängt, die Erde unter den Füßen bebt, der Augenblick, in dem man einen klaren, nüchternen Blick auf das Leben bekommt, weil man dem Tod ins Auge sieht.
In diesem Augenblick hatte sie sich John Huntington an ihrer Seite gewünscht, mit jeder Faser ihres Seins.
In dem Augenblick hatte sie gewusst, dass er ohne Zögern käme, um sie zu retten, und bereit wäre, für sie zu sterben.
In dem Augenblick hatte sie erkannt, dass sie auf eine urtümliche Art ihm gehörte.
»Ich hatte die Alarmanlage eingeschaltet, wie du mir aufgetragen hast«, sagte sie zu John. »Ehrlich. Ich weiß genau, dass ich das tat, als ich nach Hause kam. Ich weiß nicht, wie er hereingekommen ist.«
»Ich bin sprachlos.« Bud starrte John an und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben. Dieser Kerl ist an deinem Sicherheitssystem vorbeigekommen? Sag mir, dass das nicht wahr ist. Du lässt nach, Midnight Man.«
»Es ist nicht von mir«, erwiderte John gepresst. »Morgen wollte ich eins von meinen installieren. Sie hat Interloc.«
»Okay. Puh. Dachte schon fast, du würdest schwächeln.« Bud notierte sich etwas. »Was dann, Suzanne?«
Suzanne strich sich müde
Weitere Kostenlose Bücher