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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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Internat besuchen. Dort fühlt der Junge sich zunächst wie ein Fremdkörper, ergreift aber bald schon die Chance, etwas aus sich zu machen. Er erinnert sich an einen Satz seiner damals schon etwas verwirrten Großmutter: »Der wird mal Professor!« Wohl so etwas wie ein Businessplan, meint Herr Bauer im Nachhinein.
    Die nächsten Jahre werden für den jungen Mann anstrengend, aber auch erfolgreich. Über die Etappen Klassenbester, Abitur, Studium, Doktorarbeit, Habilitation ist etwas aus ihm geworden. Der Businessplan hat funktioniert. Um mit der Großmutter zu sprechen: Es fehlt nur noch der Professorentitel, dann wären wohl alle Ansprüche, die er selbst oder auch andere an ihn hatten, erfüllt. Dann wäre er niemandem etwas schuldig geblieben, auch sich selbst nicht: Was er erreicht hat, hat er aus eigener Kraft erreicht.
    Seine Bewerbungen für verschiedene Professorenstellen bleiben jedoch erfolglos, obwohl er überzeugt ist, die besseren Voraussetzungen zu haben und besser qualifiziert zu sein als seine jeweiligen Mitbewerber. Die Situation stürzt ihn in eine schwere Krise, er betrachtet sein Leben als gescheitert.
    Das hohe Energieniveau, das ihn über Jahrzehnte bei der Umsetzung seines »Businessplans« begleitet hat, ist dramatisch gesunken. Er fühlt sich kraftlos und leer, weiß nicht, wie er den Tag durchstehen soll, und manchmal schafft er es kaum, das Haus zu verlassen. Massive Schlafstörungen kommen dazu. Ein Arzt stellt die Diagnose Depression und behandelt ihn seit längerer Zeit mit Antidepressiva, ohne durchschlagende Ergebnisse. Freunde und Kollegen wenden sich von ihm ab. Es scheint kein Vergnügen zu sein, ihm zu begegnen oder länger mit ihm zu tun zu haben. Seine Frau macht sich Sorgen um ihn, ist aber oft auch ärgerlich. Sie versucht ihm klarzumachen, dass er doch ein äußerst erfolgreiches Leben führt. Das überzeugt ihn nicht, im Gegenteil: Er fühlt sich nun auch von ihr unverstanden und zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Die liebevolle Ehefrau ist ihm nun auch zur Belastung geworden, weil ihre gutgemeinten Aufmunterungen nur sein Gefühl des Versagens verstärken.
    Seiner Frau erzählt er von zwei Träumen, die er wohl mit 15 oder 16 Jahren zum ersten Mal geträumt habe, die sich aber als Wiederholungsträume bis zum heutigen Tag erhalten haben: Der erste Traum lässt ihn immer in guter Stimmung aufwachen: Er fliegt als Adler frei und ungebunden durch die Lüfte und über herrliche Landschaften hinweg. Der zweite Traum ist ein Albtraum: Wieder ist er ein Adler, doch steckt er im Asphalt einer Autobahn fest und ist voller Angst, überfahren zu werden.

Frau Hillen: Es sind die anderen, die mir übel mitspielen!
    Frau Hillen war zwei Mal verheiratet, hat aus beiden Ehen je ein Kind und seit einiger Zeit einen Freund, mit dem sie aber nicht zusammenlebt.
    Sie hat das Gefühl, im Leben immer zu kurz gekommen zu sein. Schon die frühesten Erinnerungen sind Erinnerungen des Neids auf ihre ältere Schwester. Ihr sei nicht nur die Zuwendung und Wertschätzung, besonders von der Mutter, vorenthalten worden, auch in kleinen Dingen sei sie immer benachteiligt worden, bis hin zum Essen, wo die Schwester die größeren Portionen bekommen habe. Zwar habe der Vater ihr Aufmerksamkeit und Zuwendung geschenkt, doch habe dies die ungleiche Behandlung nie aufwiegen können. In der Schule sei sie immer mit ihrer Schwester verglichen worden und habe dabei den Kürzeren gezogen. In ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin fühlte sie sich gegenüber den andern Studenten benachteiligt. Bei der Wahl ihres ersten Mannes hatte sie Pech. Sie musste dafür sorgen, dass der Laden lief, und ihren Mann »managen«, ohne dass er ihr je zur Seite gestanden hätte. Nach der Scheidung lag die Versorgung ihres gemeinsamen Sohnes allein bei ihr. Ihre zweite Ehe sei dann ein Lichtblick gewesen, aber leider nicht von Dauer. Eine seit langem geführte heimliche Affäre ihres zweiten Mannes flog auf. Seinen Vorschlag, verheiratet zu bleiben, aber die bisher heimliche Affäre nun offen weiterzuführen, lehnte sie ab. Die Ehe wurde daraufhin geschieden. Wieder wurde ihr böse mitgespielt. Sie verlor ihre finanzielle Sicherheit und hatte aufs Neue die Last der Alleinverantwortlichkeit – nun auch für die kleine Tochter – zu tragen. Heute arbeitet sie wieder als Sozialarbeiterin. Aber während für ihre Klientel eine Menge getan werde, helfe ihr niemand.
    Frau Hillen hat viele dick gefüllte

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