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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Schädel.
    Meine Beine wollten losrennen, strampelten aber nur in dem Netz. Die Fäden schnürten mich wieder mehr ein, aber ich konnte
     nicht aufhören – mein Fluchtsinn war außer Kontrolle. Ich zappelte, ruckelte und wurde immer fester eingeschnürt. Ich wendete
     meinen Kopf und sah den Grund dafür, |98| dass mein Alarmsinn durchdrehte: Eine Spinne hing am oberen Netzrand!
    Sie war riesengroß, ihre Beine waren haariger als die eines argentinischen Fußballprofis, und sie hatte eine «Mein Mitgefühl
     ist von geringer Ausprägung»-Ausstrahlung. Sie krabbelte auf mich zu! Gemächlich. Wie eine Couch-Potato, die in der Werbepause
     zum Kühlschrank geht. Ich war ihr kleiner Happen für zwischendrin. Morgens halb zehn in Deutschland.
    Ich wollte fliehen, aber ich hing ja in den klebrigen Seilen. Und daher schrie ich: «Hilfe! Hilfe!»
    «Au Mann, ich kann es nicht ausstehen, wenn Essen rumkrakeelt», moserte die Spinne mit einer ebenso knarzenden wie genervten
     Stimme.
    Deine Probleme möchte ich haben, dachte ich.
    Dass ich im Falle meines Todes wieder als Ameise reinkarniert wurde, war in diesem Moment kein Trost. Zum einen hätte ich
     die Ameisen nicht mehr rechtzeitig vor der Überflutung warnen können und so eine prima Chance zum Karmasammeln vertan. Zum
     anderen legte ich äußerst geringen Wert darauf, von einer Spinne nach und nach gefressen zu werden.
    «An dir ist ja nicht allzu viel dran», mäkelte die Spinne.
    Ich war viel zu verängstigt, um auf diese Beschwerde einzugehen.
    «Aber für einen kleinen Snack wird es schon reichen», ergänzte sie.
    Snack?, fragte ich mich, woher kennt eine Spinne das Wort «Snack»?
    Sie krabbelte von oben immer näher heran, langsam. Sie hatte keinen Grund zur Eile.
    |99| «Na ja, bis zum Brunch wirst du meinen Magen schon füllen.»
    Brunch, dachte ich, diese Spinne kennt auch «Brunch»? Und in meinem Hirn rotierte es: Konnte es sein? Warum eigentlich nicht?
     Es war eine Möglichkeit.
    Die Spinne hing nun direkt über mir im Netz.
    «So, meine kleine Ameise. Normalerweise müsste ich dich mit Spinnengift einsprühen. Aber ehrlich gesagt, ich bin kein Freund
     von Giftstoffen im Essen. Also verzeih mir bitte, ich fress dich lieber bei lebendigem Leibe.»
    Giftstoffe?, wiederholte ich in Gedanken. Jetzt war die Möglichkeit eine Gewissheit!
    Die Spinne öffnete ihr Riesenmaul. Hastig sagte ich: «Sie sind auch ein wiedergeborener Mensch, nicht wahr?»
    Die Spinne zog ihr Maul wieder zurück, schloss es und wiegte den Kopf nachdenklich hin und her.
    «Hab ich recht?», hakte ich nach.
    Nach einer Weile nickte die Spinne vorsichtig. Mein Alarmsinn stellte seine Arbeit ein, und etwas entspannter fügte ich hinzu:
     «Ich bin ebenfalls wiedergeboren. Ich heiße Kim Lange.»
    «Die Fernsehmoderatorin?»
    «Ja, genau die», antwortete ich erleichtert und war irgendwie geschmeichelt, dass sie mich sogar kannte.
    «Und wer sind Sie?», fragte ich.
    «Gewesen.»
    «Wer sind Sie gewesen?»
    «Thorsten Borchert», antwortete die Spinne.
    Ich scannte meinen Erinnerungsdatenspeicher, aber es gab keinerlei Eintrag für Thorsten Borchert.
    «Bemühen Sie sich nicht. Sie kennen mich nicht», sagte die Spinne. «Ich war ein Niemand.»
    |100| Das klang nicht gerade nach einem Ausbund an Selbstbewusstsein.
    «Niemand ist ein Niemand», sagte ich in dem netten Plauderton, den ich mir für schwierige Interviewgäste antrainiert hatte.
    «Ich schon», kam es zurück. «Sie waren eine Talkshow-Moderatorin. Ich nur ein dicker kleiner Beamter in der Abwasserbehörde.»
    «Och, das ist doch auch ein interessanter Beruf», antwortete ich in einem noch netteren Plauderton.
    «Und was genau ist daran interessant?»
    «Nun, ähem   … alles. Abwässer sind sehr interessant», sagte ich.
    In diesem Augenblick merkte ich, dass auch Spinnen zu einem «Verarschen kann ich mich selber»-Blick fähig waren.
    «Jemand wie Sie hätte mich früher nicht mal mit dem Hintern angesehen», stellte Thorsten Borchert fest.
    «Doch, doch», sagte ich eifrig, «sogar mit dem Gesicht.»
    «Sie unterhalten sich doch auch jetzt nur mit mir, weil ich Sie auffressen will.»
    Will?, dachte ich, er sagt «will»? Er müsste doch «wollte» sagen. Mir gefiel sein Gebrauch des Präsens überhaupt nicht. Mein
     Alarmsinn begann sich wieder zu regen.
    So ruhig wie möglich sagte ich: «Ich will alles über Sie wissen. Binden Sie mich los. Dann können wir plaudern.»
    «Sie wollen mit jemandem plaudern, der mit

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