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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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wieder losrennen.
    «Bleiben Sie bitte», entgegnete Casanova.
    «Wir müssen die Ameisen warnen», erwiderte ich und rannte los Richtung Tunneleingang.
    Casanova rannte hinter mir her: «Sie werden ertrinken, |104| Madame. Und Ertrinken ist kein schöner Tod», sagte Casanova, und es klang so, als ob er seine eigenen Erfahrungen mit dem
     Wassertod gemacht hätte. 9
    «Ich brauche gutes Karma!», erwiderte ich tapfer.
    «Ihr Mut ist größer als Ihr Verstand», seufzte Casanova und hielt mit mir Schritt.
    Ich erwiderte gequält lächelnd: «Für jemanden, der für seinen Charme bekannt ist, war das nicht sehr nett.»
    «Oh, ganz im Gegenteil, ich bewundere bei einer Frau Verstand, ich verehre Sinnlichkeit, aber beeindruckt, beeindruckt bin
     ich von einer Frau mit Courage.»
    «Danke», sagte ich, von meinem Mut plötzlich selbst überrascht. Das Couragierteste, was ich in meinem Menschenleben getan
     hatte, war, Lilly zur Welt zu bringen.
    Kurz vor dem Tunneleingang stellte sich mir Casanova in den Weg.
    «Halten Sie mich nicht auf!», sagte ich schroff.
    «Das will ich gar nicht», sagte Casanova. «Krabbeln Sie auf meinen Rücken.»
    Ich blickte ihn erstaunt an.
    «Vielleicht kann ich auch etwas gutes Karma gebrauchen.»
    «Ich dachte, gutes Karma sammeln entspricht nicht Ihrem Naturell?»
    «Noch haben wir ja auch keins gesammelt», lächelte die charmante Ameise zurück.
     
    9
    Aus Casanovas Erinnerungen: Der Fortschritt, den die Menschheit in den letzten Jahrhunderten machte, war für mich des Öfteren
     fatal. In meinem einhundertsechsten Leben landete ich auf einer weißen Keramikschüssel. Ihre Oberfläche war dermaßen glatt,
     dass ich abrutschte und in ein tiefes Gewässer fiel. Die letzten Worte, die ich vernahm, waren für mich kryptischer Natur.
     Eine tiefe Männerstimme sagte: «Schau mal, Schatz, ich hab eine Spartaste für die Spülung eingebaut.»

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    |105| 23.   KAPITEL
    Wir sausten in einem Wahnsinnstempo durch den Tunnel und kamen knapp über dem Boden zum Halt. Ich brüllte mit aller Kraft:
     «Rettet euch! Rettet euch! Gleich wird hier alles überflutet!»
    Die Ameisen schauten kurz hoch.
    Ich rief weiter: «Los, rennt um euer Leben!»
    Sie rannten nicht.
    «Los! Hopp-hopp!»
    Sie rannten immer noch nicht.
    «‹Hopp-hopp› bedeutet: Bewegt eure verdammten Hintern!»
    Sie schauten mich nochmal kurz mit leerem Blick an, dann verrichteten sie weiter ihr Tagewerk. Da ich nicht ihre Kommandantin
     war oder gar ihre Königin, waren meine Warnungen ihnen schnurzpiepegal. Es war so wie in jedem Großunternehmen: Gesunder Verstand
     zerschellt an interner Hierarchie.
    «Sie hören nicht auf Sie, Madame», sagte Casanova.
    «Danke, das wäre mir so nicht aufgefallen», erwiderte ich bissig und fügte hinzu: «Wir fliegen zur Königin. Die Königin ist
     die Einzige, auf die die Ameisen hören. Nur sie kann einen Evakuierungsbefehl geben.»
    «Aber wir gehören nicht gerade zu ihren Lieblingsameisen», gab Casanova zu bedenken.
    «Egal. Ich will gutes Karma!», erwiderte ich.
    «Sie sind sehr dickköpfig», seufzte Casanova und flog aufwärts in Richtung der königlichen Gemächer.
    Wir erreichten das Panoramafenster, das von zwei Priesterinnen der Königlichen Garde bewacht wurde, und pendelten uns schwebend
     auf deren Augenhöhe ein.
    |106| «Was wollt ihr?», fragte die eine Wache. Sie erkannte uns nicht, wir waren gestern offenbar vor anderen Priesterinnen geflohen.
    «Wir wollen zur Königin. Es ist dringend!», forderte ich.
    «Die Königin empfängt keinen unangemeldeten Besuch.»
    «Aber es geht um das Leben aller Ameisen.»
    «Die Königin empfängt keinen unangemeldeten Besuch.»
    «Wenn sie uns nicht sofort anhört, werden alle sterben.»
    «Die Königin empfängt keinen unangemeldeten Besuch.»
    «Kannst du auch was anderes sagen als ‹Die Königin empfängt keinen unangemeldeten Besuch›?», fragte ich genervt.
    «Die Königin empf   …»
    «Schon gut! Schon gut!», unterbrach ich.
    Casanova flüsterte mir zu: «Fliegen wir jetzt hier raus?»
    «Nein», erwiderte ich und deutete auf das Gemach der Königin. «Wir fliegen da rein!»
    «Wenn wir da jetzt hineinfliegen, werden uns die Priesterinnen überwältigen.»
    Ich schaute ihn nur durchdringend an.
    «In Ihrem Blick lese ich, dass ich Sie nicht umstimmen kann», seufzte Casanova.
    «Gut gelesen», antwortete ich.
    Casanova flog einen weiten Bogen, damit er genug Schwung nehmen konnte, und sauste auf die stoisch

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