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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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liefen, konnte ich feststellen,
     dass sich die Charaktere meiner Geschwister – wohl durch die Freiheit befeuert – schon sehr weit ausgebildet hatten. Nummer
     eins, der Skeptiker, vermutete hinter jedem Baum eine Bedrohung. Nummer zwei, der Dicke, hielt alle nasenlang an, um seine
     Lieblingsfrage zu stellen: «Kann man das essen?» («Nein, Nummer zwei, das ist ein Stein.») Und Nummer drei, die kleine Süße,
     löcherte Casanova mit Fragen zum Thema «Unterschiede zwischen Männlein und Weiblein und warum genau diese Unterschiede zu
     jeder Menge Spaß führten» – Fragen, die der Signore mit wahnsinnig schönen Schilderungen beantwortete. Auch ich lauschte andächtig
     und sehnte mich nach Sex, wobei sich in meiner Phantasie Alex und Daniel Kohn abwechselten.
    Ich ertappte mich auch dabei, wie ich begann, die kleinen, neugierigen Wesen zu mögen. Die Meerschweinchenmama hatte also
     recht gehabt: Ich hatte die Kleinen tatsächlich – auch wenn ich es nie für möglich gehalten hätte – in mein Herz geschlossen.
     Und ich malte mir aus, wie der Papst im Vatikan zu «Hava Nagila» tanzte.
     
    |143| Nach einer Weile erreichten wir einen leeren Autobahnrastplatz. In der Nähe hörte man das Vorbeirauschen der Autos, was die
     anderen Meerschweinchen, inklusive Casanova, verstörte. Noch mehr erschreckte sie aber der Laster, der auf den Parkplatz fuhr.
    «Eine Kutsche ohne Pferde?», fragte Casanova erstaunt, «und dabei auch noch so außerordentlich scheußlich aussehend?» Ich
     vergaß immer wieder, dass der Signore aus einer anderen Zeit stammte und sich an dieses Jahrtausend erst mal gewöhnen musste.
    Aus dem Laster stieg ein stämmiger Fahrer um die dreißig aus, der ein Baseball-Cap trug und extrem schief den Countrysong
     «I Show You how I Love You» sang, während er ins Gebüsch strullerte. Ich sah, dass sein Laster ein Potsdamer Kennzeichen hatte,
     und begriff sofort, was das bedeutete: Mit diesem Truck konnten wir nach Hause kommen.
    Ich bedeutete den Meerschweinchen, mir zu folgen. Wir hüpften über einen vor dem Laster liegenden weggeworfenen Kanister auf
     das Trittbrett und von da aus ins Führerhaus. Dort quetschten wir uns unter den Sitz, damit der Trucker uns nicht bemerkte.
     Nach einer kurzen Weile stieg der Mann in den Laster, zog Schuhe und Socken aus, und wir waren mucksmeerschweinchenstill.
     Wir starrten direkt auf seine nackten Füße, die Gaspedal und Kupplung drückten, und ich verfluchte den guten Geruchssinn,
     den Meerschweinchen haben.
    Der Trucker, der weiter Countrysongs trällerte, hätte uns garantiert auch nicht bemerkt, wenn er nicht etwas von seinem Butterbrot
     hätte fallen lassen. Ich sah in den Augen von Nummer zwei, dass er sich auf die Brotkrumen stürzen wollte, und legte mich
     in seinen Weg, bevor er unter dem |144| Sitz hervorkommen konnte. Das führte aber leider dazu, dass Nummer zwei laut protestierte: «Lass mich durch!»
    Der Lastwagenfahrer hörte das Fiepen, sah unter seinen Sitz und hätte vor lauter Schreck beinahe die nächste Vollsperrungsmeldung
     im Verkehrsfunk verursacht.
    Er fuhr an den Standstreifen, grinste uns Meerschweinchen an und fragte: «Habt ihr Hunger?» Stellvertretend für meine Geschwister,
     die die Menschensprache ja nicht verstanden, nickte ich. Er gab uns aus einer Tupperdose Karotten, und es war schön, zur Abwechslung
     mal auf jemanden zu treffen, der einem Futter gab, ohne einen vorher mit Stromschlägen zu drangsalieren wie mein völlig bescheuerter
     Ehemann. Oder sollte ich völlig bescheuerter Exmann sagen?
    Wir krabbelten auf den Beifahrersitz, während der Trucker sich freundlich vorstellte: «Ich heiße Elle. Und ihr?»
    In diesem Augenblick wurde mir klar, dass die kleinen Meerschweinchen keine Namen hatten, sondern nur die Nummern, die ihnen
     Alex verpasst hatte.
    «Ich geb euch jetzt Namen», sagte ich zu ihnen.
    Die Meerschweinchen Nummer eins bis drei schauten mich irritiert an.
    «Ihr seid keine Nummern, ihr seid Meerschweinchen», verkündete ich mit Spartakus-Pathos in der Stimme.
    Den Skeptiker mit der Nummer eins nannte ich Schopenhauer. Die süße Kleine, die ein Auge auf Casanova geworfen hatte, nannte
     ich Marilyn. Und dem Dicken, der so voller Lebenslust aß, verpasste ich den Namen Depardieu.
    Die drei waren sehr zufrieden mit ihren Namen, und ich fiepte dem Trucker als Antwort auf seine Frage: «Wir heißen Schopenhauer,
     Casanova, Marilyn, Depardieu und Kim.»
    |145| Elle grinste, startete

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