Mieses Karma
selbst gegenüber dem bekloppten Buddha. Er hatte mich sicherlich nicht in diesen
Körper zurückgeschickt, damit ich von einer Fernsehkarriere und einem Leben mit Daniel Kohn träume.
Aber während ich das so dachte, kam Daniel aus der Dusche heraus. Und sah einfach großartig aus. Bei diesem phantastischen
Nacktanblick verlor ich mein schlechtes Gewissen gegenüber Buddha.
Aber nicht das gegenüber Lilly und Alex.
Auf der Fahrt in der Limousine war Daniel recht still und nestelte ständig nervös an seinem Kragen herum. Er hatte ganz eindeutig
Angst vor dem öffentlichen Auftritt in meiner Begleitung – und dem Hohn und Spott, den ihm der einbrächte.
Ich war ebenfalls still: Ich dachte die ganze Zeit an Lilly. Ich konnte es nicht länger verdrängen: Mein Herz sehnte sich
so sehr nach ihr. Viel mehr als nach Bequemlichkeit. Viel mehr als nach einer Fernsehkarriere. Und noch sehr viel mehr als
nach einem Blitzlichtgewitter neben einem Mann, dem es peinlich war, neben mir zu stehen.
Je näher wir dem Saal der Fernsehpreisverleihung kamen, |233| desto beredter wurde Daniels nervöses Schweigen. Ich hätte eigentlich wütend auf ihn sein müssen, Phantasien entwickeln, in
denen er auf eine Burg zugeht, auf deren Zinnen ich ihn sehnsüchtig erwartete – mit siedendem Öl.
Aber ich war einfach nur tieftraurig. Wegen mir selbst. Darüber, dass ich den einfachen Weg gehen wollte und ein Leben mit
Kohn vorzog, anstatt meinen Mut zusammenzunehmen und meine Familie aufzusuchen.
Die Limousine hielt. Gleich mussten wir aussteigen und uns dem Blitzlichtgewitter stellen. Daniel schaute mich an, versuchte
ein Lächeln. Versuchte. Seine Mundwinkel kamen kaum in die Waagerechte.
Ich bemühte mich nicht mal mehr um ein Lächeln.
«Wollen Sie nicht aussteigen?», fragte der Chauffeur.
Daniel zögerte.
Ich auch. Ich spürte genau, ich stand am Scheideweg: Gehe ich jetzt raus, bleibe ich bei Daniel. Und entscheide mich gegen
Alex. Und gegen Lilly.
«Willst du nicht?», fragte er mich.
Ein Teil von mir rief: «Geh wieder ins geliebte Blitzlichtgewitter!» Ein weiterer Teil rief: «Und hab den Rest deines Lebens
Sex mit Daniel Kohn.» Aber der dritte Teil sagte nur ganz leise die Worte, die die anderen beiden zum Schweigen brachten:
«Aber wir alle drei werden so niemals glücklich.»
«Nein», antwortete ich Daniel.
«Nein?»
«Nein.»
«Ich höre immer nur ‹Nein›.»
«Das liegt hauptsächlich daran, dass ich es auch gesagt habe.»
Daniel schwieg.
|234| «Die anderen Limousinen warten», drängelte der Chauffeur. Und tatsächlich, hinter uns bildete sich eine Schlange von circa
zwölf Wagen, in denen überall Prominente saßen, die nichts sehnsüchtiger erwarteten, als von der Presse abgelichtet zu werden.
In einer Limousine meinte ich eine wohlbekannte Fernsehdame zu erkennen, deren Mittelfinger sich uns jedoch in einer völlig
undamenhaften Geste entgegenstreckte.
«Wir haben doch keine Zukunft», sagte ich zu Daniel, sehr schweren Herzens.
Und es tat mir weh, dass er nicht widersprach.
«Steig aus», bat ich.
«Und dann – sehen wir uns nie wieder?»
Ich antwortete nichts.
«Geständnis durch Schweigen», sagte er traurig und stieg aus.
Voller Haltung ging er allein ins Blitzlichtgewitter. Ich schaute eine Weile zu, wie er professionell lächelnd in die Kameras
blickte. Dann sagte ich zu dem Chauffeur: «Bitte fahren Sie.»
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52. KAPITEL
Als ich mitten in der Nacht in meiner kleinen Potsdamer Butze ankam, warf ich mich frustriert aufs Bett. Das war keine gute
Idee. Es krachte zusammen.
Und während ich so auf dem zusammengekrachten Bett lag und an die von meinem Vormieter beeindruckend schlecht tapezierte Raufaserdecke
starrte, fragte ich mich: Wie könnte ich mich meiner Familie nähern?
Es würde wohl kaum nochmal so einen Zufall geben wie |235| den, der mich zu Daniel Kohn geführt hatte. Und ich wäre auch nicht sonderlich scharf darauf gewesen, zum Beispiel die Dusche
zu putzen, in der sich Alex und Nina vergnügt hatten.
Aber könnte es nicht einen anderen Job geben? Es waren doch Sommerferien, und Alex und Nina mussten arbeiten. Wer würde da
auf Lilly aufpassen?
«Oma!», schrie Lilly. «Komm endlich.» Lilly trat mit einer Sporttasche in der Hand aus dem Haus. «Wir kommen sonst zu spät
zu dem Spiel!»
«Eine alte Frau ist kein D-Zug », rief meine Mutter, der keine ausgeleierte Metapher zu blöd war, und trottete
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