Mika, Bascha
einem Nachbarmädchen gesehen hat, wird
sich die Epidemie bald ausbreiten.
Während
Jungs sehr früh anfangen, zu wetteifern, zu rangeln, einen Anführer zu suchen,
verhalten sich Mädchen in der Gruppe anders. 14 Schon im Kindergarten
haben sie so viel weibliche Rolle geschluckt, dass sie sich stiller
beschäftigen, weniger aggressiv sind und selten spielerisch konkurrieren.
»Mach es
allen recht. Spiel dich nicht in den Vordergrund. Frag erst mal, was die
anderen wollen. Für seine eigenen Interessen einzutreten, ist ungehörig -
klar, so funktionieren Mädchengruppen.« Marion Knaths weiß, wie schwer es
Mädchen und Frauen fällt, sich auf einen Wettbewerb einzulassen und ihn
erfolgreich für sich zu nutzen. Doch sie kennt auch ein Gegenprogramm: »Mal
gewinnste, mal verlierste. So ist das Leben. Aufstehen — weitermachen!« 15 Es ist einer ihrer Lieblingssätze. Klingt wie im Sport. Wer dieses Motto im
Wettkampf nicht beherzigt, braucht gar nicht erst anzutreten.
Nehmen wir
Karolina. Karolina stammt aus dem tiefsten Schwabenland. In ihrem Heimatdorf
wissen Frauen und Männer noch, wo sie hingehören. Er arbeitet und verdient das
Geld, sie bleibt zu Hause und kümmert sich um die Kinder. Karolina ist mit
ihren Eltern nach Stuttgart gezogen, als sie ein kleines Mädchen war. Aber Oma
und Opa und die ganze Verwandtschaft leben auf dem Land. Bei ihnen hat
Karolina früher alle Ferien verbracht und auch häufig die Wochenenden.
Die Eltern
sagten nie, ein Mädchen tut dies nicht und das nicht. Aber auf dem Dorf. Da
meckerten die Tanten an ihr herum: Sie solle nicht so wild sein, nicht auf
Bäumen rumturnen, sich nicht dreckig machen, nicht so rumschreien. Karolina
sah, dass ihre Cousins genau das alles machten, und fand die Tanten doof.
Zehn Jahre
später. Jetzt ist Karolina zwanzig und studiert in Stuttgart. Noch immer
besucht sie ab und an ihre Verwandten auf dem Dorf, aber die nerven zunehmend.
Ständig fragen ihre Onkel, warum sie keinen Freund mitbringe, wo sie doch so
hübsch und so klug sei. Karolina ärgert sich und glaubt, dass ihre Onkel
eigentlich was anderes denken: Dass sie keinen abkriegt, weil sie zu
selbstsicher auftritt und deshalb Probleme hat. Sie fühlt sich verunsichert,
und gekränkt ist sie auch.
So
drastisch wie Karolina erleben es viele Mädchen wohl nicht mehr. Aber wer sagt,
dass die Botschaft, die hier vermittelt wurde, nicht ankommt, wenn sie subtiler
verpackt ist? Und schon werden aus Mädchen sehr schnell lauter Annikas. Annika,
die Freundin von Pippi Langstrumpf, ist der Prototyp des angepassten Mädchens,
das genau weiß, was man von ihm erwartet.
Wenn wir
uns umschauen, müssen wir feststellen: Der Annika-Zwang steckt in fast allen
von uns. Wir sind keine Ansammlung von Pippis, sondern häufig von Annikas. Zwar
gibt es, oberflächlich betrachtet, gerade unter jungen Frauen verstärkt den
Pippi-Typ. Der stark erscheint, sich was traut, dem die Meinung der anderen
ziemlich egal ist. Doch kaum kratzt man an der selbstbewussten Fassade, kaum
muss sich der Mut in der Praxis beweisen, scheint bei vielen Pippis die
ängstliche kleine Annika durch.
Wie soll
es auch anders sein, wenn Mädchen immer noch nahegelegt wird, Prinzessin und
Bambi zu spielen, statt auszuziehen, um Heldin zu werden?
Auch für
diesen Fall hat Marion Knaths eine Ermutigung
parat: »Have fun storming the Castle. Gib dich
nicht zu früh und zu schnell mit zu wenig zufrieden. Stell dich mit breiter
Brust hin und versuch es. Das macht Spaß!« 16
Doch
kämpfen steht bei Mädchen nicht auf dem Lehrplan. Stattdessen gilt: Beliebt
sein ist alles! Und da steckt sehr viel »lieb sein« drin. Von den anderen
Mädchen gemocht zu werden, ist wichtiger, als stärker oder schneller oder
klüger zu sein.
Poesiealben
und Freundebücher sind bei Mädchen noch immer sehr verbreitet. Und wie früher
schreiben sie sich gegenseitig hinein: »Sei freundlich und bescheiden, dann
kann dich jeder leiden.« Eine Weisheit, die auch schon den Urgroßmüttern
dieser Mädchen in den Ohren tönte.
Sieht man
sich einzelne Mädchengruppen an, etwa vor einer Schule oder in der U-Bahn,
lassen sich kleine Fallstudien zu gegenseitiger Angleichung betreiben: gleiche
Frisur, ähnliche Klamotten, der gleiche Schminkstil, die Handys klingeln einförmig,
dazu kommen abgestimmte Mimik, Gestik... Jugendkultur funktioniert zwar auch
über Angleichung, aber die der Mädchen ist verschärft. Wenn unser
sechzehnjähriger Nachbarsjunge eine Party
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