Mika, Bascha
Mehrzahl der Wissenschaftler geht davon aus, dass soziale Einflüsse
das Denken und Verhalten stärker prägen als biologische. 31
Die Frage
der Biologie ist das eine Aufregerthema, das zweite ist Gender-Mainstreaming
und die damit verbundene Gleichstellungspolitik. Diese Gleichmacherei sei
schuld am heute gängigen »Ich-hau-dir-in-die-Fresse-Gepöbel« junger Mädchen und
ihrem »Bauarbeiter-Jargon«, heißt es dazu in einschlägigen Internetforen. Jeder
Cent wird bedauert, der für den »Gender-Mainstreaming-Mist« 32 ausgegeben wird, für dieses angeblich »größte Umerziehungsprogramm der Menschheit« 33 .
Das ist
zwar eine absurde Debatte, aber so schnell wird sie nicht aus der
Öffentlichkeit verschwinden, dazu stellt der Gender-Ansatz zu viel in Frage.
Schaut man
sich all das Palaver an, könnte man glatt glauben, dass sich gesellschaftlich
etwas bewegt. Dass die Erregung ein Vorbote ist von veränderten Einstellungen
und Verhaltensweisen. Mitnichten. Denn der gesunde Menschenverstand weiß doch
nach wie vor ganz genau, was ein richtiger Junge ist und was ein richtiges
Mädchen, oder? Die typischen Annahmen über Männlichkeit und Weiblichkeit sind
unglaublich zäh; fest verankert in unserer Kultur und in unser aller Bauch.
Wie oft wurde seit Beginn der Frauendebatte bereits angenommen, das eine oder
andere Weiblichkeitsbild sei endgültig zertrümmert? Doch wie Bösewichte im
Comic stehen sie wieder auf und treiben, neu zusammengesetzt, weiter ihr
Unwesen.
Rollenklischees
definieren die angeblich richtigen Eigenschaften für Männer und Frauen, sie
bestimmen die öffentlichen Bilder und rechtfertigen die gesellschaftlichen
Erwartungen. Und im Alltag werden sie ständig neu aufgekocht. Niemand käme auf
die Idee, einen Traktor als Werk der Natur zu betrachten. Die Vorliebe kleiner
Jungs für Traktoren soll ihnen aber in die Wiege gelegt sein. Also bekommen sie
keine Puppen geschenkt, sondern putzige Trecker.
Wenn
Mädchen und Jungs in den Kindergarten kommen, haben sie ihre Rollen schon
weitgehend gefressen. Ihr geschlechtsorientiertes Verhalten ist dann bereits
so ausgeprägt, dass selbst Soziologen darüber staunen. 34 Vieles
haben sie von den Eltern übernommen. Denn wenn eine Mutter ihre kleine Tochter
seltener ermuntert, sich mutig auszuprobieren, als ihren kleinen Sohn, ist es
eben nicht egal für deren Entwicklung. Und es ist nicht egal, wenn ein Vater seinen
Sohn bestärkt, sich gegen andere Jungs durchzusetzen, während es ihm bei seiner
Tochter selten wichtig ist.
Bereits
hier hat sich die Rollenfalle für Mädchen weit aufgetan. Und sehr viele
Erwachsene im Umfeld der Kleinen haben geholfen, sie aufzustellen - bewusst
oder unbewusst. Indem sie die Muster selbst vorgegeben, unterstützt oder
toleriert haben. So werden kleine Mädchen gedrängt, das System zu stützen, ein
System, das sie abwerten wird. Schon sind sie zu Komplizinnen gemacht - und
ihre Zurichtung hat ja erst begonnen.
Der Befehl
Sei
ehrgeizig, fleißig und strebsam! Doch was passiert, wenn Mädchen diesen typisch
weiblichen Auftrag so ernst nehmen, dass sie die Jungs überflügeln? Dann ist es
auch wieder Mist. Seit ein paar Jahren ist zu beobachten, dass Mädchen die
Jungs in der Schule überrunden. Sie haben die besseren Noten und schließen
häufiger gut ab.
Dahinter
steckt weit mehr als nur das Bedürfnis, sich rollenkonform zu verhalten, meint
der Soziologe Klaus Hurrelmann. »Das ist nicht nur ein passives, sondern auch
ein aktives Anpassen. Mädchen haben das System Schule und deren sozialen Code
verstanden. Jetzt können sie damit spielen.« 35
Prompt
gibt's Geschrei. So war das ja schließlich nicht gemeint mit dem
Bildungsprogramm. Kaum ist der Vorsprung der Mädchen ins öffentliche
Bewusstsein gedrungen, fangen die Bedenkenträger an, von den Jungs als
Bildungsverlierern zu reden. Und die Politik stimmt sofort ein. Schlaue Mädchen
- dumme Jungs. Da muss doch sofort etwas passieren. Ein erklärtes Ziel der
CDU-Frauenministerin Schröder und vieler Bildungsexperten ist nun, sich um die
armen, abgehängten Jungs zu kümmern.
Da haben
Mädchen mal eine Nanosekunde die Nase vorn - und auch nur auf einem begrenzten,
obwohl sehr wichtigen Terrain -, und schon wird gegengesteuert. Als wäre
bereits alles gut. Als hätten Mädchen mit ihrer Bildung bereits ein rundum
wirksames Gegengift geschluckt, um dem Netz aus traditionellen Erwartungen und
Zwängen zu entkommen.
Die Praxis
zeigt vielfach etwas
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