Mika, Bascha
bereits bei ihrer
Geburt in den Kessel voller Empfindsamkeit, Mitgefühl und Mutterinstinkt
gefallen sind. Und dass bei ihnen etwas nicht stimmt, wenn es nicht so ist.
Dann fühlen sie sich schuldig — und das ist erwünscht.
Die
Mechanismen, die hinter der Schuldfrage stecken, sind tückisch. Wie sie
funktionieren, hat der berühmte Psychoanalytiker und Kinderpsychologe Bruno
Bettelheim einst offenbart — wahrscheinlich ohne zu begreifen, was er da tat.
Die
Geschichte ist viele Jahre her, und trotzdem ist sie es wert, noch einmal
erzählt zu werden. Aufgeschrieben hat sie Elisabeth Badinter, die französische
Philosophin, die darin auch eine wichtige Rolle spielt. Wie unter einem
Brennglas wird hier deutlich, warum die konservative Mutterrolle nach Schuldgefühlen
geradezu schreit.
Bruno
Bettelheim, ein österreichischer Jude, der dem KZ entkommen konnte und in die
USA emigrierte, entwickelte in den vierziger Jahren eine eigene Theorie über
Ursachen und Entstehung des Autismus. Als Wissenschaftler und Leiter einer
Schule für behinderte und emotional gestörte Kinder plädierte er in seinem Werk
für Humanität und Verständnis. Was ihn allerdings nicht daran hinderte,
Müttern die Hauptschuld zuzuschieben, wenn ein Kind autistisch wurde. Er
prägte dazu den Begriff der »Kühlschrankmutter«.
In den USA
und in Europa galt Bettelheim jahrzehntelang als moralische und fachliche
Autorität für die Erziehung von Kindern. Sein Buch Kinder brauchen Märchen aus den siebziger Jahren gehört
noch heute zur Standardlektüre von Pädagogikstudierenden. Erst nach seinem Tod
1990 gab es einige sehr hässliche Berichte über seine Erziehungsmethoden.
1981,
Bruno Bettelheim war bereits emeritiert, veröffentlichte Elisabeth Badinter
ein Buch, in dem sie behauptete, so etwas wie einen natürlichen Mutterinstinkt
gebe es nicht. 40 Der Mutterinstinkt liege mitnichten in den Genen,
sondern sei sozial konstruiert und einem kulturellen Wandel unterworfen. Manche
Frauen hätten einen, andere eben nicht. Deswegen seien sie aber noch keine
unvollständigen Wesen oder gar böse.
Bruno
Bettelheim wurde gebeten, für die amerikanische Ausgabe des Buches ein Vorwort
zu schreiben. Er lehnte ab - weil ihm Elisabeth Badinters These »missfalle«.
Seine
Begründung: »Mein ganzes Leben habe ich mit Kindern gearbeitet, deren Leben
zerstört war, weil ihre Mütter sie hassten. Natürlich gibt es keinen
mütterlichen Instinkt, sonst hätten nicht so viele Kinder meine professionelle
Hilfe gebraucht. Aber das zu demonstrieren, zu zeigen, dass so viele Mütter
ihre Kinder ablehnen, würde nur andere von ihrem Schuldgefühl befreien, das
wenigstens ein paar Kinder vor Selbstmord, Magersucht und so weiter gerettet
hat. Ich kann meinen Namen nicht dafür hergeben, dieses letzte Bollwerk zu
beseitigen.« 41
Im
Klartext: Man muss die Frauen betrügen. Muss ihnen einhämmern, dass es zu
ihrem Wesen gehört, völlig in Kindern aufzugehen. Muss ihnen ein schlechtes
Gewissen einbläuen, damit sie sich um die Kinder kümmern. Denn die Natur sorgt
nicht dafür. Müttern soll nicht erlaubt sein, ohne Schuld zu leben, damit sie
in ihrer Rolle funktionieren.
Es ist ein
ziemlich gruseliges Menschen- und Frauenbild, das hier zum Vorschein kommt.
Weit weg von jeder Freiheitsidee. Aber es entlarvt den Zwang, der auf Frauen
ausgeübt werden soll, und die sozialen Konstrukte, die sich hinter dem Bild der
guten Mutter verbergen. Sollte sich Bruno Bettelheim das Wohl der Kinder auf
die Fahnen geschrieben haben - das Wohl der Frauen war ihm offensichtlich
herzlich egal.
Das Seelenheil
Die Mutter
gehört zum Kind. Und wehe der Frau, die das nicht so eng sieht. Es gehört zum
Hormonkomplott, Frauen mit einem schlechten Gewissen zu impfen und jede Abweichung
von der Mutternorm zu ahnden. Eine berufstätige Mutter - zumal von kleineren
Kindern - hat schnell alle Vorurteile gegen sich. Ganz egal, ob sie gezwungen
ist zu arbeiten oder die Wahl hat. 42
Im
Unterschied zu anderen Ländern reagiert die deutsche Öffentlichkeit extrem
empfindlich auf dieses Thema. Deshalb eignet es sich auch hervorragend für
populistische Attacken. Vor allem Mütter, die gleichzeitig Karriere machen,
bieten sich als öffentliches Prügelobjekt an.
Nehmen wir
Ursula von der Leyen. Die Ministerin, inzwischen zuständig für das Ressort
Arbeit und Soziales, war gerade ins Bundeskabinett berufen worden, als sie eine
Einladung zur WDR-Talkshow hart aber fair erhielt. 43
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