Mika, Bascha
Thema: Kinder oder Karriere. Gleich zu Beginn der Sendung konfrontierte sie der
Moderator mit einer fingierten Titelseite der Bild-Zeitung. Darauf waren die von-der-Leyen-Kinder
abgebildet und daneben die fette Schlagzeile: »Mama, wo warst du, als ich klein
war?« Selbst das Fernseh-Make-up konnte die plötzliche Blässe der Ministerin
nicht überdecken.
Nun muss
man dazusagen, dass sich Ursula von der Leyen zu Anfang ihrer politischen
Karriere gern mit ihren sieben Kindern ablichten ließ. Auf entzückenden Fotos
mit Pony und Lämmchen stellte sie ihre Familie zur Schau - und in den Dienst
ihrer politischen Ambitionen. Sie selbst hat dafür gesorgt, dass ihr
Muttersein zum Gegenstand journalistischer Betrachtung wurde.
Doch wäre
ein Minister, und hätte er noch so oft seine Kinder hergezeigt, ähnlich gemein
auf seine Vaterrolle reduziert worden? Hätte man ihn ähnlich unverschämt mit
dem Vorwurf konfrontiert, er sei karrieregeil und opfere deshalb das Wohl
seiner Kinder? Dieses Privileg bleibt Frauen vorbehalten. Selbst die Redaktion
einer der besten Talkshows des deutschen Fernsehens entblödete sich nicht, ein
derart rückwärtsgewandtes Mutterklischee zu bedienen.
Ich saß
mit Ursula von der Leyen und zwei weiteren Frauen als Gast in dieser Sendung.
Der Ti/Z«/-Zeitungs-Fake machte nicht nur die Ministerin fassungslos, wir alle
fühlten uns wie in den falschen Film gelockt. »Das war ein Faustschlag direkt
in die Magengrube«, sagte Ursula von der Leyen anschließend. Wie gut, dass sie
eine so wohlerzogene höhere Tochter ist, es hätten ihr sonst ganz andere
Vokabeln einfallen können.
In vielen
anderen Ländern wäre es schwieriger gewesen, die Mutter Ministerin öffentlich
vorzuführen. Dass es klappt, ist eine deutsche Spezialität und ganz im Sinne
des Hormonkomplotts. Es ist nicht bekannt, dass die spanische Verteidigungsministerin
Carme Chacön medial geschmäht wurde, als sie im Frühjahr 2008 hochschwanger auf
einer Militärbasis in Afghanistan auftauchte und eine Parade der
internationalen Schutztruppe abnahm. 44 Die Kommentare zu einem
vergleichbaren Ereignis hierzulande möchte man sich gar nicht vorstellen.
Aus ihrer
französischen Sicht analysiert die Philosophin Elisabeth Badinter das
traditionelle deutsche Mutterbild und kommt zu dem Schluss: Typisch deutsch
sei, dass die Frau erst als Mutter zu »ihrer Weiblichkeit sowie zu ihrer
eigentlichen gesellschaftlichen Rolle« finde. Für Badinter ist die deutsche Vorstellung
geprägt vom Bild der »Pelikanmutter, die für ihren Nachwuchs zu allen Opfern
bereit ist — so wie man einst vom Pelikan glaubte, er speise seine Jungen mit
seinem eigenen Blut« 45 .
Zweifellos
sind die Beharrungskräfte hierzulande besonders stark, was zu paradoxen Situationen
fuhrt. Einerseits werden in der Öffentlichkeit beiden Geschlechtern die
gleichen Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt. Andererseits klammern sich weite
Teile der Gesellschaft an das Stück alte Welt, in dem männliche und weibliche
Rollen hübsch eindeutig definiert sind und dabei dem konservativen Mutterbild
eine Schlüsselfunktion zugewiesen wird. Sozialwissenschaftler haben dafür
einen eigenen Begriff. Sie sprechen von einer »geteilten Moderne« in
Deutschland. 46
»Die
deutscheste aller deutschen Überzeugungen ist zweifelsfrei die, dass die
Erziehung der Kinder ins Haus, in die Hände der Mütter gehört. Und diese Überzeugung
wird vor allem vom Bildungsbürgertum, also den Frauen mit Hochschulabschluss,
getragen«, diagnostiziert die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken. 47
Folgt man
dem deutschen Mantra, müssten die Kinder in Frankreich und Skandinavien zu
Ungeheuern heranwachsen. Denn deren Mütter weigern sich meist entschieden,
jahrelang mit den Kleinen zu Hause zu bleiben. Zwar werden auch aus diesen
Kindern meist keine Monster, doch das beeindruckt die Vertreter des deutschen
Mutterwahns nicht im Geringsten.
Selbstverständlich
wird die Inszenierung rund um die Mutterschaft stets mit den Bedürfnissen des
Kindes gerechtfertigt. »Deutsche Frauen glauben häufig noch, dass Kinder nur
bei ihren Müttern gut gedeihen können«, wundert sich Frauke Narjes. In ihrem
Job als Leiterin des Career-Centers an der Hamburger Uni muss sie sich oft mit
dem Mutterbild junger Frauen auseinandersetzen. »Irgendwie sitzen hier viele
noch dem Irrglauben auf, dass nur die Einheit von Mutter und Kind eine gute
Kombination ist. Die Frauen tun angeblich alles, um ihre Kinder
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