Mika, Bascha
Unschuld verloren:
Die
Latte-Macchiato-Mütter sind eine Großstadt-Erscheinung. In München im Glockenbachviertel,
in Berlin am Prenzlauer Berg, in Hamburg in Ottensen und Eppendorf zu
bestaunen. Dort schieben sie ihre Kinderwagen Marke Peg Perego — der
eigentlich kein Kinderwagen ist, sondern ein Survivalcamp auf Rädern für
achthundert Euro mit Zubehör - vom Café über den Spielplatz, in den Bioladen
und zurück. Sie gehören zu einem Milieu, das man in den USA die LOHAS nennt:
Leute mit Geld, politisch-ökologischem Bewusstsein, einer Top-Wohnung und im
Durchschnitt zwei Kindern.
Und die
werden von ihren Müttern täglich demonstrativ ausgeführt. Schließlich muss man
zeigen, womit man sich so den ganzen Tag beschäftigt. Man trifft sich mit den
anderen Frauen zum Latte Macchiato und zu Gesprächen, bei denen all diese
Mütter von ihrem außergewöhnlich begabten Nachwuchs schwärmen und von den
Fortschritten, die er beim Baby-Yoga oder beim Early English macht. Über jeden
Entwicklungsschritt ihrer Sprösslinge haben diese Mütter mindestens fünf
Bücher gelesen, damit machen sie sich richtig Arbeit.
Selbstverständlich
diskutieren sie auf intellektuell akzeptablem Niveau, schließlich sind diese
Frauen gut ausgebildet und hatten auch mal interessante Jobs. Aber die haben
sie aufgegeben, als die Kinder kamen; das Leben wäre ihnen sonst zu stressig
geworden. Früher hätten sie rigoros bestritten, dass ein solches Verhalten zu
ihnen passt, aber damals ahnten sie ja noch nicht, wie sehr sie ihre neue
Aufgabe fordert. Einfach ganz. Wo sollen da noch die Lust, die Zeit und die
Energie für was anderes herkommen? Man will es sich ja auch noch irgendwie
schön machen im Leben.
Nun lassen
sie sich ihren Latte fremdfinanzieren, bestaunen ihre Kinder und kümmern sich
um ihre sonnendurchflutete Wohnung - na ja, da gibt es noch die nette
Weißrussin, die jede Woche putzen kommt.
In der Ehe
der Macchiato-Mütter ist alles bestens geregelt: Er schafft das Geld ran, sie
gibt es aus für den Bau des Familiennests. Ein ansprechend designtes, versteht
sich. Von ihren aushäusigen Männern sehen weder die Mütter noch die Kinder
sehr viel, sonst könnten sie sich das Dachgeschoss und die Weißrussin ja nicht
leisten.
Aber
beruflich völlig untätig sind die Macchiato-Mütter nicht, und darauf legen sie
großen Wert: mal ein Projekt, mal eine Übersetzung, mal einen Artikel
schreiben. Ein-, zweimal im Jahr, damit man was sagen kann, wenn man gefragt
wird, und um das Selbstbild zu retten. Nicht, um Geld zu verdienen. Das kommt
ja irgendwo anders her.
Nur
manchmal, wenn diese Mütter sich gegenseitig so ansehen, sind sie ein kleines
bisschen beschämt, ihre Zeit dergestalt durchzubringen. Eigentlich hatten sie
mal sehr viel vor mit ihrem Leben. Aber so ist es doch auch sehr angenehm...
Der Zuckerguss
Das Sein
ist das Versorgtsein. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel, wenn man sich die
Macchiato-Mütter ansieht. Alles ist hip, alles ist schön und modern — nur die
Rollen, in denen diese Frauen und ihre Männer leben, wohl kaum. Die sind so
alt, dass sie muffeln. Das ganze konservative Programm: Die weibliche Existenz
auf Familie zugeschnitten samt ökonomischer Abhängigkeit und fragwürdiger
Zukunft, nur ein bisschen edler gepolstert als in manch anderem Milieu.
Selbstbestimmt und unabhängig wollten diese Frauen mal sein. Jetzt sind sie
Spezialistinnen für gehobene Haus- und Kinderarbeit und überzuckern sich den
Widerspruch zu ihren einstigen Plänen mit einem sorglos-leichtfertigen
Vor-sich-hin-Dümpeln. Das haben sie sich schließlich durch Ehe und Kinder
verdient!
Es wird
sich schon jemand finden, der mich ernährt! Es wird schon jemand kommen, der
sich für mich verantwortlich fühlt! Es wird doch wohl jemanden geben, der meine
Zukunft sichert! Diese Erwartung spukt bei vielen Frauen noch immer im Kopf
herum. Wer sich in Städten umschaut, dort, wo die Kreativen und Medienleute
wohnen, die Intellektuellen und gutverdienenden Mittelständler, wo die neue
Bourgeoisie ihren grüngesprenkelt-liberal-urbanen Lebensstil pflegt, gerade
dort also, wo Paare aufgrund ihrer Bildung und ihres ökonomischen Hintergrunds
mehr Wahlmöglichkeit haben — dort feiern die alten Rollen fröhliche Urstände:
Er verdient, sie ist versorgt. Aus die Maus.
»Man ist
ja heute die aufgebretzelte, coole Mutter mit Bugaboo-Kinderwagen und erklärt
es zum Lifestyle, dass man aus dem krassen Arbeitsleben aussteigt.«
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