Milano Criminale: Roman (German Edition)
wollen nicht länger die Überlegenheit der Sowjets akzeptieren, die schon 1957 die Hündin Laika in einem Sputnik in den Orbit geschickt haben, um ein paar Jahre später die Welt erneut in Staunen zu versetzen mit dem ersten Kosmonauten, Juri Gagarin, der sich am 12. April 1961 einen kleinen Raumflug an Bord der Wostok gönnte.
»Die Amerikaner hinken Lichtjahre hinter den Russen her«, sagt jemand ironisch, um der Sache noch mehr Zündstoff zu geben. »Und jetzt haben sie sich diese Clownerie ausgedacht. Wenn man wirklich da hoch fliegen könnte, wären die Russen sicher die Ersten gewesen.«
»Jetzt lass gucken, was passiert«, beendet Gianni Parenti die Diskussion. »Wir sprechen später darüber.«
In den schwarzen Ledersesseln sitzen Wissenschaftler, wichtige Professoren, Astronomen und Experten aller Art. Der Herausgeber lächelt jeden an, lauscht jeder Meinung. Nicht so Basile. Er schenkt ihren Reden und Erklärungen keine Beachtung. Er schenkt niemandem hier in der Redaktion von ›La Notte‹ Beachtung, die brechend voll ist wie noch nie. Manche haben sogar ihre Familien von zu Hause mitgebracht. Viele Bars bleiben die ganze Nacht geöffnet, um auch jene, die keinen Fernseher haben, am Ereignis teilhaben zu lassen.
Der Journalist ist schon beim zweiten Päckchen Nazionali angelangt, dabei ist es erst elf Uhr abends. Man rechnet damit, dass es noch eine ganze Weile dauert, bis die Astronauten den Sprung in diesen weißen Ozean tun. Er denkt, dass er eigentlich rausgehen und noch mindestens drei Schachteln Zigaretten kaufen müsste. Damit er nicht beim Höhepunkt des Ganzen plötzlich keine Kippe mehr zum Anzünden und Feiern hat.
Im Schachclub auf der Via Meravigli herrscht reges Treiben wie jede Nacht, auch wenn weniger Leute da sind als sonst. Natürlich werden keine Bauern oder Läufer gerückt. Der Zirkel ist nur einer der zahlreichen Tarnorte für eine Spielhölle, wo illegal um Geld gespielt wird. Kontrolliert wird er von Astangura, dem lokalen Vertreter der sizilianischen Mafia, der in diesem Moment mit ein paar weiblichen Schützlingen auf einem runden Bett mit roten Satinlaken vor dem angeschalteten Fernseher Champagner süffelt. Selbst Sovrintendente Mollica schaut an diesem Abend von den Karten auf, um zuzusehen, wie das LEM Eagle auf dem Erdtrabanten aufsetzt.
»Gewagter, als in einer Blechbüchse da hinaufzufahren, geht’s nicht«, kommentiert er, bevor er sich wieder dem Poker zuwendet.
Die Nacht in Rom ist sternenklar. Bellini sitzt entspannt auf seiner Terrasse. Seit seinem Ausbruch während eines Gefangenentransports ist er auf der Flucht. Jetzt hat er sich mit Leuten aus Rom ins Benehmen gesetzt, einer Stadt, die noch keine Herren kennt. Er macht Geschäfte, mit wem er kann, und setzt seine Tätigkeiten fort: Raubüberfälle und Spielhöllen, Letztere in Abstimmung mit Astangura, der auch in der Hauptstadt seine Interessen verfolgt. Er unterhält vier Vertrauensleute und hat den Marseille-Clan zu neuem Leben erweckt, allerdings mit etwas anderen Schwerpunkten. Beim Gedanken daran muss er unwillkürlich lächeln, er ist ja quasi Geschäftsmann, oder besser noch ein feiner Herr. Und die Prostituierte, die er sich über seine neuen Partner besorgt hat, hält ihn wirklich dafür. Die Wohnung gehörte einem Baron, der sich in den Ruin gespielt hatte und sie hergeben musste. Nun hat Bellini sich hier niedergelassen. Abendessen mit Spaghetti und Hummer und einem Falanghina, der hier im Süden das Rennen macht. Von der Terrasse aus blickt man auf die erleuchtete Kuppel des Petersdoms. Das Mädchen lacht wollüstig, doch der Franzose kann ihr gar nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Wie jedermann starrt auch er ganz gebannt auf den Fernsehbildschirm, der auf der Terrasse steht. Für die Frau bleibt später noch genug Zeit.
Im Audimax der Università Statale herrscht unwirkliches Schweigen. Die Studenten haben den besetzten Saal zu ihrer bevorzugten Sternwarte erklärt. Die Großen der Bewegung sind da: Castelli, Landi und Santoni, der Marina wie eine kostbare Trophäe an sich drückt. Über zwei Fernsehgeräte, die wer weiß wo beschlagnahmt wurden, flimmert der Mondboden, während die Revolutionäre auf der Erde liegen und Joints und Bierflaschen kreisen lassen. Die Atmosphäre ist entspannt. Es gibt ein zurückhaltendes Interesse an der Sache. Klar, man muss sich das anschauen, aber Begeisterung, nein. Das ist nur was fürs gemeine Volk. So sehen die drei Rädelsführer fern,
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