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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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alle Lichter, auch für die Häftlinge ist es ein besonderer Abend. Der Gefängnisdirektor fand, sie sollten ebenfalls einen Hauch von Geschichte atmen, sich als integraler Bestandteil der menschlichen Gemeinschaft fühlen, aus der sie zur Zeit ausgeschlossen sind. Selbst Zuchthäusler haben das Recht, und vielleicht noch mehr als alle anderen, den ersten Menschen auf dem Mond zu erleben. Dieses Unternehmen ist ein Sinnbild der Hoffnung schlechthin, und davon kann man gerade in einer Zelle wirklich nicht genug kriegen. Also hat er sie alle in den großen, runden Saal einberufen, in dem die verschiedenen Trakte von San Vittore zusammenlaufen. An diesem Abend wird es einmal keine Gewinner und keine Verlierer geben. Alle werden gemeinsam stolz darauf sein, wie sie den Fuß dort oben auf den Mond setzen, und die Liveübertragung des Spektakels auf den vier Fernsehern genießen, die in der Mitte des Saales installiert sind. Keiner reißt das Maul auf oder wird sonst irgendwie ausfällig.
    Kurz nach zehn Uhr abends hält jeder Einzelne im Saal den Atem an, genau wie ein paar Millionen Italiener draußen, während die Landefähre Eagle, die Blechbüchse, die sich von der Raumkapsel Columbia abgelöst hat, auf dem Mond aufsetzt. Langer Applaus brandet durch das Gefängnis. Manche umarmen sich, obwohl das erst der Anfang ist. Nun warten alle gespannt, dass die Männer die Luke öffnen und endlich einen Fuß auf das weiße Gestirn setzen.
    Auch Carminati lächelt. Seit elf Jahren sitzt er hier ein, doch der Humor ist ihm noch nicht abhandengekommen. Neben ihm sitzen ein paar Kumpels vom Raubüberfall in der Via Osoppo.
    »Dorthin hätten wir mal fliehen sollen, um nicht geschnappt zu werden, statt nach Cervinia! Dort hinauf!«
    Die anderen lachen. An diesem Abend will sich niemand ärgern.
    Sogar Cavalieri, der irgendwo in einer der letzten Reihen sitzt, lächelt heiter, wenn auch stets darauf bedacht, seine Wolfszähne nicht zu zeigen.
    Selbst im Todestrakt im Pariser La Santé herrscht diese Atmosphäre. An einem Ort, wo die Gedanken normalerweise so schwer wiegen wie in Fleisch versenkte Messer. Nicht in der Nacht, in der Lampis fernsieht. Hier hat jeder Häftling ein Gerät, im Kampf gegen die Einsamkeit.
    »Ah, les américaines!« , kommentiert sein Zellennachbar das Geschehen. »Ils sont foux!«
    »In einer Nacht wie dieser muss man eine teure Zigarre rauchen und einen guten schottischen Whisky trinken.«
    Nicolosi gönnt sich beides, allein, im Dunkeln seines Polizeichef-Büros. Bei ihm brummt nicht einmal der Ventilator, durch das geöffnete Fenster weht eine kühle Brise von der See herauf.
    Er ist lieber hier als zu Hause, denn dort hat er nicht einmal einen Fernsehapparat. Hier hat ihm der Wachmann unten einen geliehen, und jetzt, während der Rauch des kubanischen Tabaks durch den Raum wabert, klebt sein Blick am Bildschirm, über den die Bilder aus dem All flirren, die mit Hilfe der Relaisstationen über die ganze Welt verbreitet werden. Diesen Moment will der Polizist genießen und darüber eine Weile den Banküberfall vergessen, der sich direkt unter seinen Blicken zugetragen hat …
    Er zieht noch einmal tief an der Zigarre und nimmt einen großen Schluck Whisky.
    In dieser Nacht bleibt alles ruhig, da ist er sich sicher.
    Commissario Catalano ist zu Hause, sitzt mit seiner Frau auf dem Sofa. Ihre Wohnung geht auf den Largo Capponi hinaus, der sonst sehr verkehrsreich ist und nun merkwürdig ruhig daliegt, wie auch der stille Pagano-Park, nur zwei Schritte entfernt und an Sommerabenden normalerweise voll mit Menschen.
    Ihre Kinder, ein Junge und ein Mädchen von vier und fünf Jahren, sind auf ihren Knien eingeschlafen.
    »Wir wecken sie dann im Moment der Landung, wenn der Mann oben ist«, sagt er.
    »Aber sie werden sich eh nicht daran erinnern, lassen wir sie schlafen.«
    »Das kann man nie wissen, aber dieses Stück Geschichte sollen auch sie live erleben.«
    Im Anarchisten-Zirkel Ponte della Ghisolfa machen Weinflaschen und dampfende Nudelteller die Runde. Man hat sich auf eine lange Nacht eingestellt. Um der Farce beizuwohnen. Ja, denn es geht das Gerücht, das Ganze sei nur ein Propagandamanöver der amerikanischen Imperialisten. In Wirklichkeit sind sie gar nicht auf dem Mond, sondern irgendwo in der texanischen Wüste, von wo aus sie diesen Humbug um die ganze Welt schicken. Der Kalte Krieg mit Russland dauert seit Jahren an – auch um den technologischen Vorsprung –, und die Vereinigten Staaten

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