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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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ohne sich ihre Gefühle anmerken zu lassen.
    Marina schläft an Santonis Schulter gelehnt ein, der sie um vier herum wachrüttelt.
    »Jetzt passiert es gleich«, flüstert er ihr zu.
    Es ist frisch geworden, doch niemand spürt die Kälte. Keine Zeit. Sie sind alle da oben, bei den drei Astronauten. Auch die, die nicht daran glauben wollen.
    Alle, außer Agente Martinez, der den Schlaf der Gerechten schläft. Mond hin oder her, er hat den ganzen Tag gearbeitet, zweimal prächtig gefickt, und nun genießt er seine heilige Ruhe, während die Rothaarige, wach wie eine Grille, sich keine Sekunde der Fernsehübertragung entgehen lässt. Eine Stunde zuvor hat Nicolò ihr gebeichtet, was er von Beruf ist, doch das war ihr egal. Sie interessiert nur der Mann. Und der Mann ist gut, hat ein liebevolles Lächeln. Er ist nicht der Typ Bulle, den man hassen könnte.
    Als die Luke des LEM langsam aufgeht, zündet sie sich einen Joint an.
    Jetzt ist es so weit. Soll sie ihn vielleicht wecken?
    Zärtlich sieht sie ihn an. Dann küsst sie ihn auf den Kopf und beschließt, ihn schlafen zu lassen. In seinem Innern hat er längst den Mond gefunden.
    Im Pressezentrum ist tiefe Stille eingekehrt, die Nacht ist vorbei und der Morgen naht.
    An die fünfzig Menschen mögen dort sein, doch man hört nicht das Summen einer Fliege. Alle wissen, dass dies ein historischer Moment ist.
    ›Wer weiß, wann wieder so ein Moment kommt‹, denkt Santi, ›vielleicht wenn der Mensch es bis zum Mars schafft. Wenn er es schafft. Bis dahin genießen wir lieber das hier.‹
    Auch weil niemand wirklich sagen kann, ob das Unterfangen überhaupt gelingen wird.
    Am unteren Bildschirmrand – wo die Bilder verwackelt, körnig, manchmal dunkelgrau und zittrig sind – steht grell die Bildunterschrift, die einem das Herz höher schlagen lässt: Live vom Mond .
    Ein langes Abenteuer neigt sich seinem Ende entgegen.
    Auf den Tischen türmen sich ein Dutzend Pizzakartons. Und leere Wein- und Bierflaschen. Antonio betrachtet seine Kollegen: Sie wirken ganz entspannt. Kein Notfall, keine Toten, die Stadt so ruhig wie sonst nie. Der laufende Fernseher und die gedämpfte Unterhaltung der Polizisten untereinander, als wollten sie die Astronauten nicht bei ihrer schwierigen Mission stören.
    Selbst Piazza wirkt jetzt menschlicher und fast herzlich; Cimmino verzehrt allein seine zweite Capricciosa, und er, an die Wand gelehnt, spielt mit dem Stock, den er seit neuestem zum Gehen benutzt. Bis die Aufmerksamkeit aller sich ganz auf die milchigen Figuren dort auf dem Bildschirm richtet.
    Die Luke geht auf. Es ist so weit. Jetzt passiert es. Die Mission Apollo 11 wird ein Erfolg.
    Der Erste, der um 4:57 Uhr italienischer Zeit an diesem unvergesslichen 21. Juli 1969 den Fuß auf den Mond setzt, ist Neil Armstrong. Er macht ein paar kleine Sprünge und Hopser, doch hauptsächlich spielt er die Rolle, die er seit wer weiß wie langer Zeit eingeübt hat. Vielleicht seit Jahren. Nun sagt er es. Mit vor Überwältigung leicht zitternder Stimme. Die Worte, die sich in den Geist der Fernsehzuschauer einbrennen, um für immer dort zu bleiben.
    »Ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit.«
    Kurze Zeit später entsteigt dem Eagle ein zweiter Astronaut, Buzz Aldrin, während Michael Collins in der Mondumlaufbahn geblieben ist und das Kommandomodul mit Namen Columbia steuert.
    An dieser Stelle kommen Santi die Tränen. Nicht etwa, weil die Gefühle oder der Pathos ihn hinfortreißen. Es ist vielmehr eine Gewissheit, mehr noch eine Bitterkeit: Er fühlt sich in diesem Moment wie Collins, nur einen einzigen Schritt vom Ziel entfernt und trotzdem ganz und gar außerstande, es irgendwie zu erreichen. Schrecklich. Als würden sie einem eine Extremität amputieren oder einen sonst wie verstümmeln. Er denkt, dass er sein Leben ändern muss, wieder Jagd auf Verbrecher machen will, aber auf echte Verbrecher wie Lampis und Cavalieri, anstatt vor Studenten den Schlagstock zu schwingen. Er will nicht länger zusehen.
    »Was machst du denn für ein Gesicht, Santi?«, reißt Piazza ihn aus den Gedanken. »Hier kann man sich doch freuen. Das muss man feiern.«
    Mit diesen Worten drückt er ihm ein randvolles Glas Champagner in die Hand. Er legt ihm einen Arm um den Nacken und lächelt. Alle lächeln. Und dann verschwimmt alles, auch die bösen Gedanken. Die Polizeibeamten umarmen sich, stoßen miteinander an. Das Polizeipräsidium verwandelt sich in Disneyland,

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