Milano Criminale: Roman (German Edition)
und der Fernseher zeigt von oben die Fahne mit den Stars and Stripes, reglos wie ein zum Trocknen aufgehängtes Laken, und Armstrong, der salutiert und hopst. Er ist in dieser Nacht der glücklichste Mann auf der Welt. Und auf dem Mond sowieso.
3
Die Küche ist ein einziges Durcheinander, dreckiges Geschirr, verkrusteter Herd, überquellende Aschenbecher, und auch das Bad, jetzt wo er darauf achtet, ist alles andere als reinlich. Das Zusammenleben mit Nina kann man nicht gerade als eine Idylle bezeichnen. Geiler Sex, das ja, aber an den Rest darf er gar nicht denken. Die Wohnung sieht aus wie ein Schweinestall: Dieses Mädchen wäscht nicht, sie bügelt nicht, und sie kann nicht mal ein Spiegelei braten. Zu Hause hatte Nina immer eine Köchin und Hausangestellte, so hat sie nie lernen müssen, selbst etwas zu tun.
Darüber grübelt Vandelli beim Rasieren nach. Das Waschbecken ist voll mit Haaren, und das Wasser läuft kaum mehr ab. Vielleicht sollten sie sich auch so eine Zugehfrau nehmen, oder wie die heißen. Eine, die Ordnung ins Chaos bringt. Was ihn betrifft, Ninas Trägheit allein könnte er gut ertragen, aber was nervt, ist, sie immer zwischen den Füßen zu haben.
Die Blondine ist quasi auf der Stelle mit ihren Siebensachen bei ihm eingezogen und hat den Kontakt zu den Eltern abgebrochen. Genauer gesagt, die Eltern haben sie enterbt: Von einer Tochter, die es mit einem Verbrecher treibt, wollen sie nichts mehr wissen. Auch für Nina ist es hart, den ganzen Tag zu Hause rumzusitzen. Manchmal, um etwas Abwechslung zu haben, sucht sie sich einen Aushilfsjob in einer Boutique im Zentrum. Mit ihrem Äußeren und ihrer Ausstrahlung findet sie immer leicht eine Anstellung. Sie tut das, um heimlich ein paar Kleider aus der aktuellen Kollektion mitgehen zu lassen, obwohl sie das gar nicht nötig hätte, da Vandelli sie mit ausreichend Kohle versorgt. Die Anstellungen sind von kurzer Dauer, meist nur ein paar Tage; genau so lange, bis der Ladeninhaber die Diebstähle entdeckt und sie vor die Tür setzt.
Die letzte Entlassung liegt erst wenige Tage zurück, und so tigert sie am Vormittag träge und gelangweilt durch die Wohnung. Sie pendelt zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, in der Hand ein Glas und im Mund eine Zigarette. Einen Stapel Zeitschriften auf dem Tisch und im Radio irgendeinen Sender. Sich ein wenig um die Wohnung zu kümmern, fällt ihr nicht im Traum ein.
›Besser ich mach mal die Biege‹, denkt Vandelli. Bei der mörderischen Hitze schlagen sie sich sonst noch wegen nichts die Köpfe ein. Abgesehen davon, dass ihm da so ein Ding im Hinterkopf herumschwebt, also verabschiedet er sich gedankenverloren und geht.
An diesem Tag sind die Studenten trotz Hitze und Semesterferien wieder einmal auf dem Kriegspfad: Sie sammeln sich am Bahnhof Cadorna. Was sie vorhaben, interessiert Vandelli wenig. Ihm reicht es zu wissen, dass die Bullen vollauf damit beschäftigt sein werden, sie in Schach zu halten.
»Alle Kräfte, die auf Ungehorsam und Revolution gepolt sind, arbeiten für mich«, grinst er, während er in eine Straßenbahn einsteigt.
Vor einigen Tagen war er morgens in einem Café am Piazzale Susa einem kleinen, etwa sechzigjährigen Männlein in die Arme gelaufen, mit Clownsfliege, Bügelfalte, Seitenscheitel und einer großen, schwarzen Umhängetasche. Er hatte ihn nicht sofort einordnen können, doch dann war sein erfahrener Blick auf die Ausbeulung unter der Jacke gefallen, ein Schießeisen: Es handelte sich um einen Geldboten. Der Vertrauensmann eines Betriebs, einer Papierfabrik, der persönlich vor Ort die Zahlungen der verschiedenen Kunden eintreibt.
An diesem Tag müsste er seiner Kalkulation nach die Rechnungen des gesamten Juli abkassieren, die größte Runde vor der Sommerpause. Also hat Vandelli sich vor dem Sitz der Papierfabrik in der Via Oslavia auf die Lauer gelegt, getarnt mit einer aufgeschlagenen Zeitung.
Er wartet, bis sein Mann herauskommt, und folgt ihm auf Schritt und Tritt bei seiner Runde, ohne sich je blicken zu lassen. Die schwarze Tasche unter dem Arm des Mannes wird mit jeder Station dicker.
Vandelli hat die Route überschlagen, die der Mann abläuft, und sich für seine Aktion eine Seitenstraße hinter dem Viale Monza und dem Viale della Martesana ausgesucht, wo das Männlein in der Regel sein Geld in einem großen Schreibwarengeschäft kassiert. So auch an diesem Tag.
Die Gegend wirkt ruhig. Anonyme Wohnblocks, ein paar Geschäfte in der Nachbarschaft, die
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