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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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Themen des Lebens annahm. Ein Speichellecker und Mistkerl bis zu dem Tag, an dem er sein Bild in der Zeitung gesehen hatte, da hatte sich alles schlagartig geändert. Der Läusekönig.
    Um ein wenig seine Ruhe zu haben, hat er beschlossen, nicht mehr selbst ans Telefon zu gehen. Seine Frau filtert die Anrufe, notiert sich die Nummern, und wenn es wirklich wichtig ist, ruft er zurück. Das geschieht nicht oft.
    In seinem Alter interessiert ihn das Rampenlicht nicht mehr. Früher war das vielleicht anders, doch nun will er nur noch schreiben. Sonst nichts. Aber anders als früher. Bis vor einigen Jahren schrieb er Kurzgeschichten für Frauenzeitschriften und Romane aller Art und wurde dafür pro Zeile bezahlt. Also war es schon mal vorgekommen, dass er die Sache absichtlich in die Länge zog, für ein paar Kröten mehr. Das war die Geburtsstunde der Läuse. Und er ist sie nicht wieder losgeworden. Auch seine Schriftstellerkollegen prügelten damals auf ihn ein, neidvoll und grausam. Er hat schlimme Kritiken über sich gelesen. Sie spucken Gift und Galle, weil ihnen schon längst die Ideen ausgegangen sind, während er immer weiter produziert, wie eine Kampfmaschine. Er ist bei vier Romanen im Jahr angelangt.
    Auch wegen seines unaussprechlichen russischen Nachnamens werden Giftpfeile auf ihn abgeschossen und, wollen wir mal ehrlich sein, auch wegen seines Vornamens. Sein richtiger lautet Vladimir, aber er benutzt einen italienischen Namen, Giorgio, der schön klangvoll ist.
    Zeitungsreportagen sind seine vorrangige Inspirationsquelle. Ausgehend von einem Dreizeiler oder einer Episode am Rande, strickt er Seite um Seite eine Geschichte drum herum. Spannende Geschichten, glaubt man den Zuschriften seiner Fans. Zum Großteil Frauen. Fast nie Männer.
    An diesem Tag, während er vor seiner Lettera 22 die Zeitung liest und eine filterlose Stop raucht, kommt ihm eine umwerfende Idee für einen neuen Roman. Mal ein ganz anderer Krimi als die vorangegangenen, vor allem anders als die, die er unter dem Duce schrieb mit möglichst exotischem Personal und unrealistischen, fremdländischen Schauplätzen. Und anders auch als jene, die auf den Heldentaten dieses Commissario beruhten, den sie versetzt haben, wie hieß er noch gleich? Ach ja, Nicolosi.
    Jetzt will er von einem Mailand mit Helden aus Fleisch und Blut erzählen. Nach dem Bullen, der ihn zu seinen vier berühmten Kriminalromanen inspiriert hat, ist er nun auf der Suche nach etwas Neuem. Und heute Abend hat er es vielleicht gefunden. Ihn fasziniert die Figur eines jungen Ganoven, einer Art italienischem Dillinger. Sie haben ihn vor ein paar Tagen festgenommen, aber er ist überzeugt, dass man von ihm noch hören wird. Er kennt die menschliche Natur. In ›La Notte‹ werden seine Vergehen haarklein beschrieben: Mit gerade mal achtzehn hat er schon einen Lebenslauf vorzuweisen, der einen altgedienten Haudegen vor Neid erblassen ließe.
    Sofort beginnt er, die Geschichte aufzuschreiben, die Seiten der Abendausgabe noch auf dem Schoß, den Duft von Druckerschwärze in der Nase und ihre Farbe an den Fingern.
    Doch als er ein neues Blatt Papier in die Lettera 22 spannen will, passiert etwas. Zuerst ein stechender Schmerz im linken Arm, dann ein Stich, der ihm den Atem raubt.
    »Infarkt«, flüstert er und realisiert das Geschehen, noch während es passiert.
    ›Jetzt werden die Läuse sich endlich zufriedengeben‹, denkt er.
    Dann sitzt er reglos mit geöffneten Augen da, während die Kippe ihm die Finger versengt und das Leben sich davonschleicht wie ein nächtlicher Dieb.

Rote Stadt
    1
    Grau. Bleigrau, Rauchgrau, Eisgrau. Und Rot. Blutrot, Feuerrot, Fahnenrot. Ein Kaleidoskop aus nur zwei Farben; so präsentiert sich die Stadt Giovannis Blicken. Und er staunt, denn es ist das erste Mal, dass ihm Farben überhaupt auffallen. Noch nie ist er so viel durch Mailand gewandert wie in diesen Wochen. Plötzlich geht alles ganz schnell. Von einem auf den anderen Tag steht er nicht mehr am Fließband, sondern auf der Piazza. Vielleicht hat sein Carabiniere-Bruder Antonio ja recht, wenn er behauptet, er sei Kommunist geworden. Er weiß nur, dass er für etwas kämpft, an das er glaubt. Seit ein paar Jahren arbeitet er bei SIT -Siemens, als ungelernter Fließbandarbeiter. Ein Leben in der Fabrik. Erst zehn Jahre bei Marelli, jetzt hier. Nicht dass sich viel verbessert hätte, im Gegenteil, es läuft nicht gut. Wie immer für seinesgleichen, neu ist nur, dass Giovanni und seine

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