Milano Criminale: Roman (German Edition)
anderen Gefangenen in der Zelle und kommt nur für eine Stunde Hofgang und zum Duschen raus. Nicht einmal eine Mensa gibt es, auf einem Wägelchen bringen sie einem den Fraß, den hier aber ohnehin kaum jemand isst.
»Diese Pampe frisst doch nur, wer sich das Essen von draußen nicht leisten kann«, kursiert die Rede unter den Knastbrüdern. Das Gefängnis ist überfüllt, deswegen tun die Wärter angeblich Tropfen in die Suppe, die die armen Schweine sich reinziehen müssen, damit alles ruhig bleibt und niemand Ärger macht.
Roberto ist wütend, auch weil er entdeckt hat, dass er wegen einer Tasche voll Papier in der Haftanstalt gelandet ist. Die Einnahmen – neun Millionen in Schecks – waren von dem Geldboten schon am Vortag in die Bank gebracht worden; an jenem Morgen hatte er lediglich wertlose Quittungen im Transporter.
Dem Gangster vom Giambellino ist sonnenklar, dass er noch ein paar Dinge zu lernen hat, und vielleicht ist dieser Ort, wo er nun eingesperrt ist, genau der richtige, um gleich damit anzufangen.
Bis zum Strafverfahren stecken sie ihn zu einer Schwulette in die Zelle, einem Typen mit stolzgeschwellter Brust, um die fünfzig, immer schweißnasse Hände und ohne Pause am Quatschen. In der Szene heißt er ›der Schauspieler‹, wegen seiner Rolle in Fotoromanen als böser Cowboy. Einer, der gerne das große Wort führt.
Anfangs schaut sich Vandelli das an. Er hält sich zurück und hört zu, doch der Schauspieler redet wirklich wie ein Wasserfall. Er überschüttet ihn mit Geschwätz, und seine Lügengeschichten schreien zum Himmel. Eines Tages haut er eine Geschichte raus, wie er einmal in einer Villa ein paar Dobermänner unschädlich machen musste und dazu auf einen selbsterfundenen Trick zurückgriff: Er nahm eine läufige Hündin, sprühte ihr ein Betäubungsmittel auf die richtige Stelle und ließ sie dann innerhalb des fraglichen Grundstücks frei. Die Hunde kamen sofort angelaufen, schnüffelten an ihr und kippten allesamt betäubt um. Unnötig, es zu sagen, dass er anschließend einen Wahnsinnscoup landete.
Während der Mann erzählt, denkt Roberto, dass er diese Geschichte irgendwo schon mal gelesen hat. Er grübelt und grübelt, bis es ihm plötzlich einfällt. Während sein Zellengenosse immer weiter blafft, zieht er unter der Matratze des anderen ein altes ›Diabolik‹-Heft hervor, in dem derselbe Coup beschrieben wird, den der Genosse erzählt.
Er zeigt ihm den Comic: »Blätter mal durch.«
Der Schauspieler, der wirklich talentiert ist, sieht sich mit düsterer Miene das Heftchen an und kommentiert: »Hey, da hat mir doch dieser Armleuchter von Diabolik meine Idee geklaut!«
»Ja, klaaar!«
Ein anderes Mal reizt ihn Roberto zusammen mit seinem Kumpel Chicco, genannt ›Drei Pistolen‹.
Sie sind beim Hofgang, und Chicco stichelt gegen den Schauspieler.
»Sag einmal, wie schaffst du das eigentlich immer, kaum kommt ein neues Milchgesicht an, baggerst du schon an ihm rum und machst ihn am Ende für dich klar!«
Alle drehen sich instinktiv zu Vandelli um, der keine Miene verzieht. Auch der Schauspieler lässt sich nichts anmerken, er blickt ernst seinen Gesprächspartner an und erwidert vor allen Anwesenden, Schwerverbrechern und anderen: »Du weißt doch, wie das läuft, der Neue ist ein bisschen eingeschüchtert, also lädst du ihn in deine Zelle ein, bietest ihm einen guten Kaffee an, lässt ihn ein bisschen was erzählen, und zum Trost bläst du ihm dann einen. Und dann kann er gar nicht anders, als es dir zu danken.«
»Und wenn der Neue sich weigert?«
»Dann hab ich halt einmal umsonst geblasen.«
Alle brechen in Gelächter aus.
So lügenmäulig der Schauspieler ist, so gutgläubig ist er auch. Und Vandelli überlegt lange, wie er sich auf seine Kosten einen Spaß machen kann. Schließlich nutzt er den Umstand, dass im Knast sogar die Zeitungen zensiert werden, und überzeugt ihn mit Hilfe von ein paar anderen Insassen davon, dass der Dom auf die Anhöhe von San Siro versetzt wurde, so dass er selbst von weiter weg noch zu sehen sei, und dass an der Stelle, wo das Gotteshaus früher stand, ein großes Einkaufszentrum und das amerikanische Konsulat errichtet wurden.
Es braucht ganze zwei Wochen, bis der Schauspieler aus allerlei unterdrücktem Gelächter, halben Andeutungen und Frotzeleien – im Gefängnis verbreiten sich Neuigkeiten in Windeseile, vor allem wenn Chicco Drei Pistolen als Resonanzkörper dient – zur Überzeugung kommt, dass sein
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