Milano Criminale: Roman (German Edition)
wanderst du eben eine Woche in die Isolationshaft bei Wasser und Brot, da hast du Zeit zum Nachdenken.«
Acht Tage später, als sich Vandelli, abgemagert und immer noch mit Schmerzen, wieder beim täglichen Hofgang präsentiert, kommt der Molosser auf ihn zu. Dieses Mal mit entspannter Miene.
»Du bist in Ordnung, kleiner Scheißer. Du hast Eier, kannst den Mund halten und machst dir nicht in die Hosen. Das gefällt mir.«
Damit hat Roberto einen Fuß in der Tür zu den richtigen Leuten, zu dem Kreis der guten Jungs aus den Gangs, auch wenn noch ein weiter Weg vor ihm liegt; keiner bezweifelt mehr, dass er ein harter Bursche ist. Doch etwas fehlt ihm noch. Der große Coup, der in Erinnerung bleibt, ihm Anerkennung verschafft. Bisher ist er nur ein Verbrecher unter vielen. Ziemlich reif für sein Alter, aber mehr auch nicht. Und auf diesem Weg wird ihm der Molosser helfen können, dieser Philosoph des Verbrechens. Vandelli beschließt, sich ihm unterzuordnen; er lässt sich gerne etwas beibringen von solchen, die es draufhaben, und hat keine Probleme, sich vor ihnen zu beugen.
›Mit dem Riesen sucht man lieber keinen Ärger, der ist hier drinnen eine große Nummer‹, denkt er. ›Dem hört man besser zu, bleibt an seiner Seite und nimmt das Gute mit, das er zu bieten hat. Wenn er denn etwas hat.‹
3
Wer in San Vittore im Flügel V einsitzt, lebt wie in einem anderen Gefängnis. Die Regeln, die hier zählen, gelten nicht für die anderen Flügel. Neben den Bossen der Mailänder Unterwelt und den guten Jungs aus den Gangs brummen hier auch Taschendiebe und ein paar Milchgesichter, die man noch nicht kennt.
»Wer in Mailand in San Vittore einsitzt, der muss in Flügel V sein, sonst ist er Schlachtfleisch. Dann ist dein Arsch keinen Pfifferling wert«, erklärt der Molosser seinem neuen Schüler. »Sobald du etwas zählst und dir den Respekt der anderen verschaffst, ist die V der normale Ort, wo sie dich hinstecken. Diese Beförderung musst du dir aber erst verdienen, das fällt einem nicht einfach so in den Schoß. Schau dir zum Beispiel mal die da an«, er zeigt auf ein Grüppchen von um die Fünfzigjährigen, »die Mailänder Polizei lässt sie in Ruhe, weil sie ihr zuarbeiten und in ihren Vierteln für Ruhe sorgen. Man kann nicht sagen, dass sie Ehrenrühriges tun, sie rufen nicht die Bullen oder so, sondern übernehmen die Polizeirolle einfach selbst, suchen sich die Steppkes und geben ihnen eins auf die Nüsse, um sie unschädlich zu machen. Natürlich immer abhängig davon, an wen sie geraten. Als sie irgendwann auf Leute stießen, die das Messer zogen, mussten sie eine härtere Gangart einschlagen. Aber gut, das sind Typen, die Verbindungen zur sizilianischen und amerikanischen Mafia haben. Und dann gibt es uns.«
Auch der Molosser und seine Leute leben in der V. Roberto hat Gerüchte gehört, dass der Flügel V, bevor sie hierherkamen, aus verschiedenen Gründen immer dem Wachpersonal half. Wenn eine Revolte ausbrach, unternahm die V alles, um sie zu befrieden. Das Ergebnis nach einem besonders bösen Zwischenfall war, dass die Direktion, als sie die Fäden wieder in der Hand hatte, ihre Wut an den Jungs in den anderen Flügeln ausließ und die Bedingungen im restlichen Bau um einiges härter wurden, nicht aber in der V.
»Wie draußen, nicht wahr? Wem es gutgeht, dem geht es immer besser, wer unten ist, versinkt immer tiefer in seiner eigenen Scheiße.«
Vandelli nickt stumm.
»Schau mal, Bürschchen, wichtig ist doch, dass wir alle zusammenhalten, drinnen wie draußen. Sie können uns angehen, aber dann müssen sie sich in ihrer Kaserne einschließen aus Angst vor Rache. Das haben sie hier im Vollzug schnell begriffen, und seitdem hat sich das Klima verändert. Und auch wenn man in der V immer noch am besten behandelt wird, ist der Abstand zu den anderen Flügeln geschrumpft. Die Wachen überlegen ganz genau, ob sie jemanden anrühren, denn wenn sie einen Schlägertrupp in die II oder III schicken, wo vielleicht ein paar gute Jungs sitzen, wird das automatisch auch zu unserem Ding.«
Mit einem Funken Stolz sagt er abschließend: »Jetzt sind wir es, die zählen, der Einfluss der anderen hat abgenommen. Mafiosi und Camorristi leben und lassen leben, aber sie bestimmen nicht mehr, ob das Wetter gut ist oder schlecht.«
Vandelli lauscht staunend seinen Vorträgen; er merkt, dass er alle Voraussetzungen hat, um einer von den guten Jungs zu werden.
Sein Mentor errät seine Gedanken und lächelt
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