Milano Criminale: Roman (German Edition)
als er Schritte auf der Treppe hörte. Also hatte er keine Zeit verloren und war sofort durch das Fenster ins Freie gesprungen.
»Instinkt«, hatte der Commissario gesagt. »Das unterscheidet einen normalen Kriminellen von einem Vollblutverbrecher.«
Mit der Zeit soll Antonio lernen, diese Unruhegeister zu erkennen, die zwar dem Bösen ergeben sind, aber im Vergleich zu gewöhnlichen Gaunern verhältnismäßig großen Einfallsreichtum und Antrieb an den Tag legen.
Der junge Polizist betrachtet das Foto. Es kommt ihm vor wie eine Zielscheibe, und wahrscheinlich würde Nicolosi nur zu gern darauf schießen. Das liegt an der Presse. Die Zeitungen lassen keine Gelegenheit aus, um die Werbetrommel zu rühren und die Taten des Solisten an der Maschinenpistole zu feiern. Durch das Bündnis mit Janot hat er den Gipfel der Popularität erreicht, auch weil er sich mittlerweile nicht mehr auf Mailand beschränkt. Dank seiner Heldenstücke wird er inzwischen in halb Italien gesucht. Auch Rom ist auf ihn aufmerksam geworden, also beschließt man, die Schraube noch enger zu drehen: Alle Mann auf ihn ansetzen, so lautet der Befehl.
Diese Nachricht befeuert seinen Ruhm noch mehr, und die Figur des Lampis wird ebenso legendär wie sein Lebensstil als Flüchtiger. Große Hotels, dicke Autos, schöne Frauen. Die Selbstinszenierung als Gentleman-Gauner sowie seine berühmten Sentenzen im Mailänder Dialekt, die er am Tatort fallen lässt, tun ein Übriges, um ihn beliebt zu machen.
Die Leute müssen – und sie wollen – träumen. Dafür scheint dieser Kriminelle wie geschaffen, mit seinem Mailand des schönen Lebens, seinen Millionencoups und seinem Imponiergehabe. Der perfekte Held für eine Metropole, die trotz ständigen Wachstums letztlich noch romantisch und unschuldig ist, wo die Frauen die Kirche auf der linken Seite betreten und die Männer rechts. Lampis braucht nur mit der Waffe im Gürtel auf der Schwelle zu erscheinen, und die Leute geraten in Verzückung.
Bis auf Nicolosi selbstverständlich, der angesichts der Stimmung eine wichtige Entscheidung trifft.
»Wir legen es auf die Frau an«, verkündet er.
»Chantal?«
»Exakt, Santi.«
»Commissario, bei allem Respekt, aber er ist ein Hurenbock, der wird wohl kaum …«
»Schon, aber er liebt seine Frau. Junge, du musst den Sex vom Rest trennen. Lampis kann das, und deshalb wird er mir in die Falle gehen. Vertrau mir.«
Antonio vertraut ihm. Niemand kennt die menschlichen Schwächen besser als sein Vorgesetzter. Und auch er weiß aus eigener Erfahrung, dass wegen der Unfähigkeit, den Schwanz unter Kontrolle zu halten, schon eine Unzahl von Kriminellen in den Bau eingefahren sind.
Sie legen sofort los. Die Bullen beginnen, die Frau in ihrer Wohnung auf dem Corso Magenta zu observieren. Alle zwei Tage fallen sie mit einer Ausrede bei ihr ein: zur Hausdurchsuchung oder nur, um sicherzugehen, dass der Ehemann nicht nach seiner Angetrauten Sehnsucht verspürt hat.
Lampis finden sie nicht, doch die Strategie funktioniert. Das merken sie, als mitten in der Nacht plötzlich Basile im Polizeipräsidium auftaucht.
Nicolosi zwinkert Antonio zu.
»Ich hatte dir ja gesagt, dass er in deiner Schuld steht.«
Der Journalist sieht genauso fertig aus wie immer, doch in seinem Blick liegt ein Funkeln. Es muss etwas vorgefallen sein, sonst wäre er nicht hier.
»Was ist passiert, Mario?«
»Lampis, der Solist an der Maschinenpistole …«
»Wir sind ganz Ohr«, ermutigt ihn Nicolosi.
»Er hat vor einer halben Stunde in der Redaktion angerufen. Ihr macht ihn wütend.«
»Was hat er gesagt?«
»Drohungen. Einen Haufen Drohungen«, erwidert Basile. »Er meint, er kann nicht leben, wenn er seine Frau nicht sehen darf. Und da ihr ja dauernd seine Chantal verhört, um zu erfahren, wo er sich versteckt, hat er beschlossen, den Spieß umzudrehen und es euch mit gleicher Münze heimzuzahlen. Er sagt, wenn ihr nicht aufhört, seine Frau zu verfolgen, wird er sich am Polizeipräsidenten und seinen Angehörigen rächen.«
Der Commissario hört ihm ungerührt zu.
Basile verstummt und wirkt ein wenig enttäuscht, dass der große Bulle so gar nicht reagiert.
Antonio begleitet ihn hinaus.
»Danke für deine Hilfe, Mario. Ich nehme an, dass wir morgen in ›La Notte‹ einen ausführlichen Bericht über das gesamte Telefonat lesen werden?«
»Da liegst du richtig.«
Der Journalist zündet sich im Hinausgehen eine Zigarette an, während der Polizeibeamte zu Nicolosi ins Büro
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