Milano Criminale: Roman (German Edition)
wenn er ›Gutes tut‹. Weitaus ungerührter schreit der Vater aus dem Schlafzimmer, seine Frau solle sofort zurück ins Bett kommen und nicht so viel Lärm machen, er müsse schließlich im Morgengrauen aufstehen und in die Fabrik.
Antonio nickt ihr dankend zu und geht. Er hat nichts zu sagen, dieses Gefühl von Trunkenheit, das ihn bei dem morgendlichen Aufbruch zur Verbrecherjagd überkommt, lässt sich nicht in Worte fassen.
Unten auf der Straße sind sie zu acht. Das zweite Auto ist der nach Hund stinkende Fiat 600, mit dem sie schon Klempner gespielt haben.
Sie folgen den Spuren des Amerikaners Richtung Norden.
»Hinweis eines Informanten?«, fragt Antonio.
Nicolosi schüttelt den Kopf.
»Einer Frau.«
Um fünf Uhr morgens erreichen sie die Via Ressi. Doch in der Wohnung von Lampis’ kleiner Freundin keine Spur von ihm. Die wegen Begünstigung festgenommene Frau lässt sich – nach ›Hilfestellung‹ einer wortkargen Polizeikollegin mit kräftiger Rechter – die Adresse des Flüchtigen entlocken. Ein Schlupfloch ebenfalls in Mailand, am anderen Ende der Stadt, wo der Mann nebst Gattin residiert.
Die Bullen fahren mit quietschenden Reifen los.
Als sie ankommen, fegt der Pförtner den Eingangsbereich.
»Wen wollt ihr denn abholen?«, fragt er.
Acht Bullen um sieben Uhr morgens, das wird sicherlich kein Höflichkeitsbesuch.
Nicolosi zeigt ihm das Fahndungsfoto.
»Ah, den Musiker. Erster Stock, Wohnung 8.«
»Musiker?«
»Violinist, um genau zu sein«, und mit dem Besen deutet er einen singenden Geigenbogen an. »Immer am Üben. Du bal! «
Die Polizisten wechseln einen skeptischen Blick.
»Wie gehen wir vor?«, fragt einer der Mannschaft, Agente Rami.
Der Commissario winkt dem Pförtner dankend zu.
Sie eilen die Treppe hinauf und stürmen die Wohnung.
Leer. Die Kleider hängen am Haken, das Bett ist zerwühlt, die Kaffeekanne noch voll.
»Der ist gerade erst verduftet«, kommentiert Antonio.
Einer tritt an das angelehnte Fenster im Schlafzimmer.
»Offenes Fenster. Und nicht weit bis nach unten. Er muss auf die Mülltonnen gesprungen sein, um den Sturz abzufangen.«
Der Commissario nickt, während Santi das Wohnzimmer durchsucht. Ein Kassettenrekorder mit einem Stapel überspielter Kassetten. Der Polizist legt eine ein. Es erklingt die Violinstimme einer Mozartsonate.
Daneben steht der Instrumentenkoffer.
Als Nicolosi hineinschaut, wird ihm alles klar. Auch die anderen kommen näher und starren mit offenen Mündern in den Koffer. Ein paar grinsen.
»Mit den Kassetten hat er die Nachbarn hinters Licht geführt«, erklärt der Commissario. »Das ist hundertprozentig Lampis’ Wohnung. Und wir haben ihn um Haaresbreite verpasst.«
Antonio blickt auf die gutgeölte Maschinenpistole, die in dem Geigenkasten liegt.
Er muss lachen. Die anderen fallen ein.
»Ein echtes Schlitzohr«, meint er. »Er verlässt mit Maschinenpistole das Haus, um Banken auszuräumen, und alle glauben, er ginge zur Orchesterprobe.«
Sie überprüfen die übrigen Räume, versiegeln die Wohnung und treten wieder auf die Straße.
Der Pförtner blickt ihnen wortlos nach, dabei schleicht sich ein geheimnisvolles Lächeln in sein Gesicht.
»Was tun wir jetzt?«, fragt Antonio, als sie in den Zagato steigen.
»Ruf deinen Journalistenfreund an und erzähl ihm die Sache mit dem Geigenkasten.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Dann hast du ab morgen etwas gut bei ihm. Besser gesagt, wir haben etwas gut. Das wird uns noch mal nützlich sein.«
Nicolosi ist vorausschauend wie immer.
Kaum hat Basile die Geschichte gehört, überschlägt er sich fast vor Dankesreden bei Antonio, denn dieses Detail beflügelt seine Phantasie, und er hat schon einen genialen Einfall, welchen Spitznamen er dem Amerikaner anheften wird.
Der Verbrecher erfährt ihn am selben Tag aus der Nachmittagsausgabe von ›La Notte‹. Ungläubig und ehrlich gesagt auch ein wenig stolz liest er dort, dass er, Leandro Lampis alias der Amerikaner, gerade einen weiteren Spitznamen bekommen hat, der Solist an der Maschinenpistole, den er bis ans Ende seiner Tage tragen wird.
3
Antonio hält an, bevor er die Straße überquert. Eine grüne Straßenbahn rumpelt langsam an ihm vorbei. Es ist sieben Uhr abends und dämmert bereits, die Tage werden merklich kürzer.
Der junge Polizist trägt Zivil. Er hat sich den Wagen seines Bruders geliehen, einen Topolino, um mit Carla auszugehen, einer früheren Mitschülerin vom Gymnasium. Er parkt auf der anderen
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