Milano Criminale: Roman (German Edition)
dank strafmildernder Gesetze.
»Wie geht es ihm?«, fragt Antonio.
»Er wird durchkommen«, erwidert Nicolosi. »Ich habe dem Arzt gesagt, er soll auf mich warten, bevor er ihn ins Krankenhaus schafft.«
Als sie ankommen, liegt Mariani auf einer Krankenbahre im Rettungswagen. Mit kreidebleichem Gesicht und einem Verband um den Bauch.
Beim Anblick Nicolosis geht ein Zittern durch seinen Körper.
»Alte Erinnerungen, wie?«
Der Bandit ringt sich ein Lächeln ab. Die Luft ist wie elektrisiert. ›Wer weiß, wie oft er diesen Mann schon in die Zelle geschickt hat‹, denkt Antonio.
»Ich wäre lieber gestorben, als dich wiederzusehen, comisàri .«
»Ach, Vincenzo, das sagen sie alle, und dann können sie es trotzdem kaum erwarten, dass wir ihnen zu Hilfe eilen.«
Der Verletzte dreht den Kopf weg.
»Wer hat dir den Bauch aufgeschlitzt?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Hast du das gehört, Antonio? Er weiß es nicht mehr. Jemand hat sich vor seiner Nase mit seinen Eingeweiden amüsiert, und er weiß nicht mehr wer.«
»Ziemlich schlechtes Gedächtnis.«
Nicolosi zündet sich eine Zigarette an. Der Notarzt will etwas einwenden, doch der eisige Blick des Commissario hält ihn davon ab.
»Wie du willst. Ich habe alle Zeit der Welt. Ich kann warten. Dir hingegen«, und dabei zeigt er auf den blutigen Bauchverband, »bleibt wohl nicht mehr allzu viel, wenn du nicht bald ins Krankenhaus kommst.«
»Du Hurensohn!«
Der Commissario rührt sich nicht.
»Die Zeit rennt, Vincenzo. Also, wer hat versucht, dich umzubringen?«
Antonio sieht reglos zu. Ihm ist klar, dass der Verletzte nicht in Lebensgefahr schwebt, doch er mag diese Methoden einfach nicht.
Mariani zittert, bleibt aber stumm.
»Ich will dir mal ein wenig entgegenkommen«, meint Nicolosi schließlich in versöhnlicherem Tonfall. »Damit es nicht so aussieht, als hättest du gesungen. Lass uns einfach ein bisschen herumspinnen, einverstanden?«
Antonio glaubt von dem Kranken ein zustimmenden Grummeln zu hören.
»Gut.« Nicolosi zündet zwei Zigaretten an, eine für sich, die andere steckt er dem Verletzten zwischen die Lippen. Der Arzt entfernt sich, um nicht vor Wut zu platzen.
»Heute Morgen hat es auf dem Corso Vercelli einen Überfall gegeben. Drei bewaffnete Kriminelle sind in eine Bank eingedrungen und haben sich alles Bargeld aushändigen lassen. Zwanzig Millionen. Peanuts im Vergleich zu dem Coup von vor sechs Jahren, aber für ein Ding von zehn Minuten wiederum nicht schlecht. Findest du nicht?«
Der Verwundete zieht schweigend an seiner Zigarette.
»Weißt du, was ich glaube, Vincenzo? Einer von den drei Kriminellen warst du. Aber ja. Das ist mir auf dem Weg hierher klar geworden. Die anderen zwei waren leicht zu identifizieren, ihre Gesichter kennt mittlerweile jeder Schalterbeamte aus der Zeitung: Lampis und Janot. Mir war allerdings nicht klar, wer der Dritte ist. Dann hatte ich diese Eingebung. Ich habe mich gefragt: Wer braucht dringend Geld, weil er gerade aus der Besserungsanstalt raus ist? Soweit ich weiß, kennst du Janot seit ewigen Zeiten, und ihr habt vor Jahren schon zusammengearbeitet. Was, wenn ihr euch für diesen Coup zusammengetan hättet? Die Filiale ist nicht weit von dort, wo du schon immer wohnst. Sicher konntest du in den letzten Tagen die Abläufe der Schalterbeamten und des Wachpersonals studieren. Also, ich vermute, dass die Idee im Grunde genommen von dir kam!«
Der Verwundete atmet nicht, während der Blutfleck auf dem Verband größer wird. Allmählich macht Antonio sich Sorgen.
»Was meinst du dazu?«
»Hirngespinste«, erwidert der Niedergestochene mit dünner Stimme. »Bringt ihr mich jetzt ins Krankenhaus?«
»Einen Moment noch. Ich möchte dir nur schnell noch meine Geschichte zu Ende erzählen. Ich glaube, alles lief glatt, bis die Beute aufgeteilt werden sollte. Da gab es plötzlich Probleme, stimmt’s? Die anderen zwei wollten zu gleichen Teilen untereinander aufteilen. Aber du warst nicht einverstanden; du wolltest mehr von dem Geld, da es deine Idee gewesen war. Mit deinem alten Boss, Carminati, habt ihr es ja auch so gehalten. Wer den Coup plant, wird doppelt ausgezahlt, oder? Ich wette, an diesem Punkt hat der Streit eine unschöne Wendung genommen und in Lampis Fingern tauchte plötzlich diese Klinge auf. Habe ich recht?«
»Du Scheißbulle, dir sage ich gar nichts.«
»Ach nein? Dann wärst du schön dumm. Du wärst sogar doppelt dumm, weil du heute ja schon einmal angeschmiert wurdest.
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