Milano Criminale: Roman (German Edition)
wässrigen Blick, die verkniffenen Lippen beim Sprechen.
»Das ist nicht das Leben, das ich gewollt habe, als ich in die Berge gegangen bin«, fährt er fort. »Ich wollte ein anderes Italien, eine andere Zukunft. Nicht diese. Das ist nicht richtig! Was wir da tun, gefällt mir nicht. Ich kann mir selbst nicht mehr ins Gesicht sehen.«
»Du bist ein ewiger Idealist«, lacht Aimo im Versuch, die Spannung zu lockern.
»Waren wir das nicht alle einmal?«
»Weil wir Hunger hatten! Jetzt stehen wir auf der anderen Seite und haben kapiert, wie es zugeht auf der Welt.«
»Quatsch! Ich bin so wie immer. Der Junge aus Bariera ’d l’Emme ! Aber ihr, wer seid ihr?«
Er zeigt mit dem Kinn auf die drei Kumpane: Maßanzüge, auffällige Krawatten, silberne Zigarettenetuis, Whisky in den Gläsern.
»Habt ihr euch mal angeschaut? Ihr seht aus wie Schwerverbrecher. Nicht einmal Barbera trinkt ihr mehr! Und dieser Ort hier«, in einer ausholenden Armbewegung deutet er auf das berühmte Lokal. Zwei Mädchen tanzen oben ohne auf dem Tresen. »Wo zum Teufel sind wir hier? Was ist aus der Piola del Sordo geworden?«
»Wir sind erwachsen geworden, Danilo«, ruft Voletto aus, »und du bist zurückgeblieben, mit den ollen Kleidern am Leib. Schau dich doch nur mal an: Du läufst immer noch herum wie nach dem Krieg … Kauf dir mal einen anständigen Anzug. Du siehst abgewrackt aus, wie diese alten Knarren, die du für unser erstes Ding besorgt hast!«
»Vielleicht bin ich ja ein Wrack, aber verkauft habe ich mich nicht. Für wen zum Teufel haltet ihr euch, für die Herren der Stadt, nur weil ihr ein paar erfolgreiche Dinger gedreht habt? Heilige Einfalt! Ihr werdet genauso enden wie der Solist oder die Marseiller. Die dachten auch, sie seien unbesiegbar …«
»Eins musst du mir bitte erklären«, mischt sich Cavalieri nun ein, der bisher geschwiegen hat, scheinbar ganz vertieft in den Anblick der Go-go-Girls. »Was willst du eigentlich? Dich abmelden? Aussteigen auf Nimmerwiedersehen?«
Ihre Blicke begegnen sich im Dämmerlicht des Lokals.
Baldi nickt.
Cavalieri sieht ihn weiter an, bis der andere den Blick senkt.
»Dann wünsch ich dir viel Glück dabei, Genosse«, sind seine einzigen Worte.
Auch die anderen kümmern sich nicht weiter um den Mann, der schließlich auf den Absätzen kehrtmacht und geht.
Zwei Tage später stürzt Baldis Aprilia auf einer Straße kurz vor den Toren Turins in den Po. Tragischer Unfall titelt ›La Stampa‹: Der Fahrer scheint bei erhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug verloren zu haben. Möglicherweise war Alkohol im Spiel.
In der Piola del Sordo wird ungern darüber gesprochen. Alle schweigen. Kartenspiel und Rauchschwaden in der Luft.
Gegen acht betritt Aimo in Begleitung eines Jungen das Lokal. Er muss so um die siebzehn sein, noch ein halbes Milchgesicht.
Jeder kennt ihn vom Sehen; auch er ist in der Barriera aufgewachsen. Er ist schon einer von ihnen, wenn auch noch junges Gemüse.
»Treibst du es jetzt mit kleinen Jungs?«, fragt Cavalieri.
»Nee. Der hier kennt sich mit Motoren aus. Und mit Bremsen. Manchmal repariert er sie, manchmal sorgt er aber auch dafür, dass sie im richtigen Moment nicht mehr funktionieren.«
Cavalieri mustert ihn.
»Wie heißt du?«
»Dante Liuzzi.«
»Kannst du schießen, Junge?«
Dante schüttelt widerwillig den Kopf.
»Dann wirst du es lernen. Aimo, besorg ihm eine Knarre, dann sehen wir, was er kann.«
Der Junge lächelt. Auch Cavalieri zeigt seine furchteinflößenden Eckzähne: Nun sind sie wieder vier, und er denkt in immer größeren Dimensionen.
»In Turin«, sagt er, »wird mir der Boden unter den Füßen allmählich zu heiß. Für den ultimativen Qualitätssprung müssen wir hier raus.«
6
»Das ist ein Überfall!«
Obwohl sie den genauen Wortlaut des deutschen Befehls nicht verstehen, recken die Angestellten und Kunden der Bank sofort die Arme in die Höhe, voller Angst vor den brüllenden Männern mit Maschinenpistolen und entsicherten Waffen, die in die Filiale gestürmt sind. Wenn jemand mit gezückter Waffe in einer Bank auftaucht, gibt es kein Vertun, egal ob Italienisch oder sonst eine Sprache gesprochen wird. Alles, was man dann tun kann und muss, ist den Geldschrank ausräumen und hoffen, keine Kugel in den Kopf zu bekommen. Ende der Lektion.
Sie sind zu dritt. Einer hält die Anwesenden in Schach, während die anderen zwei ihre Säcke mit Banknoten füllen.
»Schneller, schneller!« , ruft der mit
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