Milano Criminale: Roman (German Edition)
sich.
»Wir sehen uns später«, sagt er. »Jetzt macht euch vom Acker, ich muss noch was regeln.«
Nun erst kommt er dazu, sein Mädchen in Ruhe zu betrachten: Sie ist wunderschön. Hochtoupierte Haare, wie es gerade Mode ist, bunte Blumenmuster und kurzer Mini, Plateauschuhe mit Korksohle und dunkle Divensonnenbrille. Beim Näherkommen atmet er ihr Parfüm ein, dann umarmt er sie. Es folgt ein langer Kuss, einer von der Sorte, die nach Sex und Begierde schmecken. Leidenschaft pur.
Als sie endlich ins Auto steigen und losfahren, erklingt aus dem Radio, das auf die gleiche Frequenz eingestellt zu sein scheint wie Vandellis Gedanken, die dunkle Stimme des Mädchens aus dem Piper mit ihrem neuesten Lied: Tu mi fai girar, tu mi fai girar come fossi una bambola …
2
Eine Gruppe von Studenten zieht durch die Innenstadt. Sie schreien und singen, und wer ihnen als Außenstehender zu nahe kommt, den bewerfen sie mit Steinen und allem, was sie auf der Straße finden. Antonio hat sich seine Nikon umgehängt und ist in Zivil unterwegs, ebenso Martinez. Sie folgen Cimminos neuer Strategie: Feldobservierung.
»Du Verräter!«
»Ich übe nur meinen Beruf aus.«
Die Zankereien mit Carla sind an der Tagesordnung. Wenn auch weniger häufig, seit sie als Vertretungskraft an der Schule angefangen hat.
»Wir müssen genau wissen, wer kriminelle Handlungen begeht«, so lautet die Anweisung aus den oberen Gefilden des Präsidiums. Das Problem war nur, dass immer, wenn Razzien stattfanden, ein Riesenchaos herrschte: Hunderte festgenommene Jugendliche, die massenweise wieder laufengelassen wurden. Aus Mangel an Beweisen. Die Polizei hat sich bei den Großeinsätzen daran gewöhnt, unterschiedslos jedermann festzunehmen. Die Richter wussten dann nicht, wen anklagen, und ließen alle wieder frei. So war Cimmino der hübsche Gedanke der Feldobservierung gekommen. Martinez und Santi schossen Fotos, anhand derer man in Folge die Schuldigen würde festmachen können. Ein Schnappschuss davon, wie ein Molotowcocktail geworfen oder ein Auto umgestürzt wurde, wäre der unschlagbare Beweis. Die Kollegen würden nur die festnehmen, die bekannt waren, und die Flure der Questura wären nicht sinnlos überfüllt.
Nachdem Cimmino mit ruhiger Stimme seinen Plan dargelegt hat, setzt er hinzu: »Santi, du und Martinez, ihr seid als Einzige jung genug, um noch als Studenten durchzugehen. Ich bin mir sicher, dass ihr es schafft, euch mit ein paar Kunstgriffen perfekt zu integrieren.«
Ende der Durchsage. Keine Chance für die zwei Bullen, etwas einzuwenden, widerwillig müssen sie sich in ihre neue Rolle fügen.
Antonio hat sich einen Schnauzer und einen kurzen Bart wachsen lassen, den er diesmal kaum pflegt.
»Wir müssen werden wie sie, zumindest aussehen wie sie.«
»In meinen Augen siehst du nur verwahrlost aus.«
»Ich hatte schon immer einen Hang zu Bärten, das weißt du ja.«
»Eine Riesengemeinheit, die ihr da vorhabt«, so das harsche Urteil seiner Frau.
Er zuckt mit den Achseln. Er fürchtet weniger die Reaktion seiner Frau als die der Straße. Sollten sie enttarnt werden, riskieren sie Kopf und Kragen.
Wenn sie gefragt werden, warum sie Fotos machen, geben sie sich als Reporter irgendeines Richtungsblättchens aus, die zu Dutzenden kursieren, für ein paar Lire zusammengeschrieben und gedruckt. Sie nennen immer einen erfundenen Namen.
»Kenn ich nicht«, lautet unweigerlich die Antwort des Fragenden.
»Nächstes Mal bringe ich dir eins mit, okay?«, erwidern Santi und Martinez. Aber natürlich gibt es nie ein nächstes Mal.
Das Heikelste an der Sache ist, dass sie von beiden Seiten Prügel riskieren: von den Bullen, die sie für Studenten halten, und von den Studenten, sollten die sie als Bullen enttarnen. Letzteres wohl theoretisch: Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie von Leuten aus der Bewegung erkannt werden, ist eher gering. Als sie mit den anderen im Polizeiblock standen, trugen sie immer Helm, Schild und Uniform. Wie um zu sagen: Wir sind alle gleich, namenlos.
»Eine Drecksarbeit«, knirscht Martinez durch die Zähne, während er die ersten Fotos macht.
Antonio nickt. In solchen Momenten fällt ihm immer das Interview mit dem Krimiautor ein. Einen Satz findet er besonders treffend: Das einfache Leben der anderen . Ruhig und sorglos; weit weg von den Straßenschlachten, den Kugeln der Teenager aus gutem Hause und den Molotows der Studenten. Das Leben der Leute, die in ihren schönen Häusern an der Porta Venezia
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