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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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liebsten würde er sich auf ihn werfen, doch Martinez, der wie ein Schutzengel neben ihm auftaucht, hält seinen Arm fest, um Schlimmeres zu verhindern.
    Die Spannung liegt greifbar in der Luft, als ein Beamter auf sie zugerannt kommt und sie unterbricht.
    »Dottore …«, keucht er.
    »Was gibt es denn?«
    »Sie haben noch eine Bombe gefunden. Am Hauptbahnhof. Zum Glück ist sie nicht hochgegangen.«
    Von diesem Moment an gibt es kein Halten mehr, die Polizisten werden allesamt vom unkontrollierbaren Strudel der Ereignisse fortgerissen. Catalano und seine Männer arbeiten rund um die Uhr, genauso Martinez und Santi, der damit immerhin eine Ausrede hat, nicht an Carla und diesen Professor denken zu müssen, den sie trifft und mit dem sie vielleicht sogar ins Bett geht …
    Im Moment zwingt er sich, nur an die Ermittlungen zu denken. Die Männer der Politischen tun das Ihre und ziehen ein paar Asse aus dem Ärmel: In derselben Nacht holen sie viele der ›unter besonderer Beobachtung‹ stehenden Personen aus den Betten, zum Großteil Anarchisten der Gruppe ›Sacco e Vanzetti‹ aus der Via Murilio oder der ›Ponte della Ghisolfa‹ mit Sitz am Piazzale Lugano.
    Ganz oben auf Catalanos Liste steht ein Lokführer um die vierzig, Gianni Parenti. Ein kleiner Mann mit hoher Stirn und sorgsam gepflegtem, rabenschwarzem Bart, der in seinen Bullenaugen die Inkarnation des Bösen darstellt und unermüdlich im Klubhaus der Ghisolfa Studententreffen und -versammlungen organisiert, um subversive Themen zu behandeln.
    »Wer sonst als die Anarchisten soll die Bomben gelegt haben?«, fragt sich der Commissario.
    Catalano vernimmt Parenti drei endlose Stunden lang. Seine Frage ist immer dieselbe: »Lieber demokratischer Mitbürger, wo warst du gestern Abend zwischen sechs und sieben Uhr und wer kann das bezeugen?« Und auch die Antwort ist immer dieselbe: »Ich habe den Feiertag zu Hause bei Frau und Kindern verbracht.«
    Auch alle anderen, die aus dem Schlaf gerissen und verhört werden, mit geröteten Augen und zerzausten Haaren, spulen den gleichen Text ab, als hätten sie ihn auswendig gelernt. Und wahrscheinlich war es auch so. Alle haben sie den 25. April zu Hause verbracht, still und brav, wie es der Gesetzgeber von ihnen erwartet.
    Daran ändert sich auch nichts, als die Männer der Politischen zu härteren Bandagen greifen, den Verhörten Salzwasser einflößen und sie minutenlang vor sich auf dem Boden knien lassen.
    »Willst du einen Anwalt, demokratischer Mitbürger? Dann antworte mir, und danach sehen wir weiter«, erwidern sie dem, der sich beklagt. »Wir sind hier ja nicht in Amerika. Den Anwalt rufen wir dir, wenn es uns passt.« Auch die Bullen von Catalanos Einheit haben diese Leier drauf.
    Auf Santi wirkt die ganze Sache wie eine große Show, in der alles gestellt ist und jeder nur seine Rolle spielt. Wie die Gruppe von Jugendlichen im Wachraum, die um zwei Uhr nachts den rhythmischen Kampfruf »Eins, zwei, drei, viele Vietnam« anstimmen, so dass er bis hinauf in Catalanos Büro schallt, im vierten Stock des Präsidiums, wo die Verhöre stattfinden. Damit wollen sie dem gerade verhörten Genossen Mut machen. Der nicht selten – und auch das wurde im Vorhinein sicherlich abgesprochen – statt zu antworten ganze Passagen aus dem Kleinen roten Buch von Mao Tsetung zitiert. Die abgedroschenste Stelle ist die, wo der Anführer des Großen Marsches dazu aufruft, die Hauptquartiere der Macht unter Beschuss zu nehmen, und damit das Konzept des gerechten Widerstandes gegen die Autoritäten bekräftigt.
    Auch für Santi sind es endlose Stunden, die er mit dem Abhören von Tonaufnahmen verbringt oder persönlich den Verhören der Verdächtigten beiwohnt. Er sitzt nur dabei, sagt nichts und fragt nichts, er ist derjenige, der die Beschuldigten zwischen Büro und Zellen hin und her führt.
    Als er sich am darauffolgenden Nachmittag endlich freimachen kann, um nach Hause zu gehen, ist er völlig fertig. Vom Hof aus hört er Commissario Catalano, der immer noch auf einen Tatverdächtigen einbrüllt. Er ist außer sich: Nicht das Mindeste hat er herausgefunden, und es gibt bereits Kollegen, die ihn beschuldigen, den Anarchisten unrecht zu tun und die Ermittlungen voreilig und ohne jeden Beweis in eine Sackgasse gelenkt zu haben.
    Am Steuer seines Wagens wird Antonio einfach nicht das Bild los von Carla in den Armen eines anderen. In den zurückliegenden, chaotischen Stunden hat er sie ein paarmal kurz angerufen, um ihr zu

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