Milano Criminale: Roman (German Edition)
diesem Punkt nimmt die Sache eine unerklärliche Wendung. Die Aufstellung wird durchbrochen, als eine Gruppe Studenten mit Helmen und Eisenstangen sich entschlossen ihren Weg zu den Polizisten bahnt. Sie greifen frontal an und schreien dabei etwas, das Santi nicht versteht.
»Und jetzt?«, fragt der Beamte kleinlaut.
»Jetzt ist die Kacke am Dampfen.«
Eine Stunde später ist alles vorbei. Flur und Aula sind in einem verheerenden Zustand. Stühle und Bänke zerstört, Wände schwarz, der Putz bröckelt, die Türen ausgehebelt, ein paar Rohre gebrochen, Blut auf dem Fußboden.
Schlagstöcke und Tränengas haben nicht ausgereicht, um die Gewalttäter abzuwehren, Cimmino musste Verstärkung rufen. Am Ende haben die Studenten angesichts der übermächtigen Gegner aufgegeben und sind geflohen. Etwa dreißig bleiben zurück, Handschellen um die Gelenke. Andere landen im Krankenhaus zusammen mit vielen Carabinieri.
Antonio sieht sich verwundert um.
»Was für eine sinnlose Zerstörung«, murmelt er und nimmt seinen Helm ab.
»Dich kenn ich doch!«
Santi dreht sich um. Zwei Schritte vor ihm steht ein Mädchen. Armeehemd, weite Karohose, brauner Pferdeschwanz, pechschwarze Augen und feingeschwungene Lippen. Über dem rechten Auge ist sie verletzt – das war sicherlich ein Schlagstock –, es ist halb zugeschwollen. Sie hockt mit gefesselten Armen auf dem Boden und wartet auf ihren Abtransport aufs Polizeipräsidium.
»Was sagst du?«
»Ich hab dich schon mal gesehen, Bulle.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwidert er hilflos. Seine Kollegen beachten sie nicht. Sie sind damit beschäftigt, die anderen Gefangenen wegzuschaffen.
»Bringst du die da mit, Santi?«, fragt ihn Cimmino.
Er nickt und zieht sie unsanft hoch.
»He, was sind das für Faschomethoden.«
»Entschuldigung.«
Das Mädchen hebt die unversehrte Braue.
»Entschuldigung? Du kannst ja richtig höflich sein. Und heißt du nur Santi oder hast du auch einen Vornamen?«
»Was geht dich das an?«
»Jetzt fängt er wieder an. Ich will doch nur ein bisschen reden.«
Als sie losgehen, fährt das Mädchen fort: »Jedenfalls kenne ich dich irgendwoher, lass mich nachdenken … Aber klar doch! Du warst auf ein paar Versammlungen von uns!«
Jetzt blitzen die Augen der Studentin plötzlich auf.
»Du Dreckskerl! Du bist ein Spitzel. Genossen, der hier ist ein Spitzel!«, schreit sie aus voller Kehle.
Einige wollen sich zu ihnen umdrehen, werden aber sofort von den Beamten festgehalten.
»Halt den Mund«, zischt Santi und packt sie am Arm.
»Aua! Weißt du nicht, dass man Frauen nicht schlagen darf?«
Der Polizist erwidert nichts.
Sie erreichen die Treppe.
»Pass auf, die Stufen.«
»Was soll das, machst du dir Sorgen um mich? Ich soll nicht stürzen und mir weh tun, nachdem ihr mir das Auge kaputtgeprügelt habt?«
»Das war ich nicht.«
»Hahaha«, lacht sie gekünstelt. »Nicht? Das war einer deiner Kollegen, oder? Die Arschlöcher sind ja immer die anderen!«
»Hör auf damit! Immerhin habt ihr alles kurz und klein geschlagen! Und einen Professor gekidnappt!«
»Du hast ja keine Ahnung, was hier drinnen abgeht. Wie sich diese Professorenbonzen über uns hinwegsetzen.«
Santi zuckt mit den Schultern.
»Ja, gut so, nur nicht reden. Prügeln könnt ihr besser, ihr seid doch alle gleich! Weißt du, woran ich dich erkannt habe? Am Geruch. Ja, wirklich, an dem Gestank, den du mit dir rumschleppst. Riech doch nur mal an dir: Du stinkst nach Arrestzelle, Zigaretten und verstaubten Archiven.«
»Was weißt du schon davon. Sieh dich an, du bist ja kaum aus der Schule raus. Wie alt bist du?«
»Neunzehn.«
»Dein Vorstrafenregister kann sich bestimmt sehen lassen …«
»Gar nicht. Diesbezüglich wirst du mich entjungfern!«
Der Polizist senkt verlegen den Blick.
Sie gehen schweigend weiter.
»Hast du eine Kippe?«
Er nickt, zieht zwei Zigaretten aus dem Päckchen. Er gibt ihr Feuer.
»Danke. Sagst du mir nun, wie du heißt?«
»Antonio.«
»Angenehm, Antonio, ich bin Marina.«
Sie möchte ihm die Hand geben, doch die Handschellen hindern sie daran.
Sie haben die Spähpanzer fast erreicht. Santi sieht sich um. Es herrscht Durcheinander, schreiende Studenten, Kollegen, die sich nach dem Kampf ausruhen, Cimmino, der in sein Funkgerät brüllt.
»Was machst du?«
»Still.«
Antonio hat die Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche gezogen. Eine Sekunde später sind Marinas Hände frei.
»Jetzt verschwinde«, befiehlt
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