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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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manchmal vergaß eine ihre Haarbürste auf dem Fensterbrett.
    Als ich zum ersten Mal bei Moritz übernachten wollte, geriet meine Mutter vollkommen in Panik und ihr fiel nichts Besseres ein, als mir eine Packung Kondome in die Tasche zu stecke n – anstatt ein Pausenbrot so wie früher.
    Dass meine Brüste anfingen zu wachsen, hat ihr von Anfang an nicht gepasst. »Na, jetzt brauchst du wohl bald ein B-Hächen«, hat sie eines Tages zu mir gesagt und halb belustigt, halb missmutig die kleinen Wölbungen unter meinem T-Shirt inspiziert, als hätte ich irgendeinen komischen Ausschlag. B-Hächen!
    Ich schätze, mein Busen stellte für meine Mutter ein nicht kalkulierbares Risiko dar. Sie wusste, dass sie nicht verhindern konnte, dass es eines Tages einen Jungen geben würde, der mir auf die Brüste starrt, und dass ich mich in genau diesen Jungen verlieben würde, dass dieser Junge mich berühren würde, überall, und dann verlassen. Moritz, zum Beispiel.
    Manchmal wäre ich gern zu ihr gegangen und hätte ihr erzählt, wie glücklich ich bin. Oder wie traurig. Wie viel Angst ich davor habe, dass er mich berührt, dass er mich vielleicht nicht hübsch genug findet. Aber ich habe genau gespürt, dass sie das gar nicht hören will. Dass sie gar nicht mehr anders kann, als in den Garten zu rennen und Unkraut zu jäten. Soll sie sich doch begraben lassen in der Scheißerde, wie oft habe ich das gedacht. Und dann tat sie mir leid. Sie wollte mich beschützen, ja, ja. Sie wollte nicht, dass mir ein Junge wehtut, weil er mich nicht liebt.
    Ich ging in mein Zimmer, warf meine Tasche in die Ecke und zerrte ein paar frische Klamotten aus der Kommode. Dann ging ich ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Das Wasser lief mir in heißen Fäden über Schultern und Rücken. Ich hätte Ewigkeiten so dastehen können. In unserer Wohnung war es arschkalt.
    In meinem Zimmer stand zwar ein kleiner Kachelofen und bis der November gekommen war, hatte ich Kachelöfen für eine romantische Erfindung gehalten. Doch da wusste ich noch nicht, wie schwer und schwarz Kohlen in Wirklichkeit sind und wie unromantisch es ist, sie aus dem Keller in den vierten Stock zu schleppen.
    Auf Theos Mitleid brauchte ich nicht zu hoffen. Wenn ich schnaufend und schmutzig die Treppen heraufgekrochen kam, sagte er nur, ich hätte keine Kondition und ein bisschen Sport würde mir guttun.
    In einer halben Stunde musste ich im Delirium sein und Achim, mein Chef, hätte es bestimmt nicht lustig gefunden, wenn ich zu meiner ersten Schicht im neuen Jahr zu spät gekommen wäre. Zumal ich an diesem Tag zum ersten Mal allein hinter der Bar stehen sollte. Ich war ziemlich nervös deswegen, denn sonst hatte mir immer Evi, die gute Seele des Ladens, zur Seite gestanden. Aber Evi war jetzt ganz offiziell schwanger. Sie hatte es mir schon kurz vor Weihnachten erzählt und mich zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Anhand eines Ultraschallbilds hatte sie mir sogar erklärt, wo die Arme und die Beine sin d – und die Schamlippen. Werdende Mütter sind einfach gnadenlos.
    Am 28 . Dezember standen wir wieder zusammen hinterm Tresen und Evi war wie ausgewechselt. Sie war unfreundlich zu den Gästen und nach ihrer Schicht goss sie sich einen Schnaps ein.
    »Das ist nicht gut fürs Baby«, sagte ich vorsichtig.
    »Aber gut für die Mutter«, sagte Evi bloß und starrte zur Tür. Dann erzählte sie mir, dass ihr Freund Ralf am Morgen telefonisch mit ihr Schluss gemacht hatte. Er sei noch nicht reif für ein Kind. Ralf war fünfundvierzig, wohlgemerkt. Als Evi ihn daraufhin beschimpfte und ihn an die 70 0 Euro erinnerte, die er ihr noch schuldete, legte er einfach auf. Für Ralf war die Sache damit erledigt gewesen. Ich glaube, in dem Augenblick, als er den Hörer auflegte, existierte Evi für ihn schon nicht mehr.
    Es ist in meinen Augen die brutalste Art, jemandem den Laufpass zu geben. Man legt auf, man drückt ab. Der andere weiß genau: Wenn das Tuten in der Leitung ertönt, ist es vorbei. Herzstillstand.
    Ich weiß, wovon ich rede. Keine Ahnung, wie oft Hannah mich nach solchen Telefonaten wiederbeleben musste.
    Ich goss aus Mitgefühl einen Schluck Whiskey in meine Cola, hoffte, dass es Achim nicht merkte, und stieß mit Evi auf alles Mögliche an. Auf ihre neue Freiheit, auf die Emanzipation, auf alles, was Ralf in einem möglichst schlechten Licht erscheinen ließ und als den eigentlichen Verlierer der Situation.
    Bis zum Delirium brauchte ich mit dem Rad normalerweise

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