Milchbart (German Edition)
gehalten hatte, aus der Hand und rieb sich das Gesicht. Dann ließ sie den Kopf gegen die geflieste Wand sinken. So blieb sie geraume Zeit sitzen.
Willst du hier anwachsen?
Steifbeinig stand sie auf, trat aus der Dusche, machte Licht, legte die Mappe in ihr Versteck zurück und begann, das Schränkchen einzuräumen. Als das Badezimmer wieder so aussah wie vor ihrem Eintreten, schaltete sie das Licht aus und tastete sich durch den dunklen Umkleideraum zur Tür.
Sie öffnete sie einen Spalt und lugte hinaus.
Niemand in Sicht! Du kannst gefahrlos verduften!
So schnell und so geräuschlos es möglich war, eilte sie in ihr Zimmer, schloss die Tür und lehnte sich heftig atmend dagegen. Ihre Atemzüge wollten sich lange Zeit nicht normalisieren, weil in ihrem Kopf helle Aufregung herrschte.
Sie war also bereits als Marita Bogners Mörderin abgestempelt.
Du wusstest doch schon die ganze Zeit, dass du verdächtig bist!
Oh ja, dachte Fanni, aber es macht einen riesigen Unterschied, ob man es mit ein paar Indizien zu tun hat, die einem Ärger machen, oder mit einer öffentlichen Verurteilung.
Na schön, wenn dich der Klatsch – mit dem allerdings zu rechnen war – so aufregt, dann nimm die Pillen, die Schwester Rosa dir dagelassen hat, und leg dich ins Bett!
Fanni schüttelte den Kopf. Ich nehme die Beruhigungstabletten nicht, dachte sie. Jetzt erst recht nicht. Ich kann mich doch nicht einfach abschalten und dem Verhängnis seinen Lauf lassen.
Fanni stieß sich von der Tür ab, ging ins Bad und zog sich aus. Dann duschte sie ausgiebig, föhnte sich die Haare, putzte sich die Zähne und cremte sich das Gesicht ein.
Fertig!
Noch lange nicht, protestierte Fanni, griff nach der Bodylotion und begann, auch ihren Körper einzucremen, vergaß weder die Beine noch die Arme noch den Po.
Fertig?
Sie nickte ihrem Spiegelbild flüchtig zu, machte das Licht im Badezimmer aus und legte sich ins Bett. Innerhalb weniger Minuten war sie eingeschlafen.
5
Wie an den vergangenen Tagen hatte Fanni auch an diesem Morgen beim Frühstück einen Tisch für sich allein, weil sie wieder einmal auf die letzte Minute gekommen war.
Sie war ja immer schon eine Langschläferin gewesen. Als ihre Kinder noch zur Schule gegangen waren, war sie mit Müh und Not früh genug aufgestanden, um ihnen wenigstens ein Pausenbrot richten zu können. Aber kaum bewohnten Leni und Leo Apartments in Nürnberg und München, kaum hatte Vera geheiratet und war aus Erlenweiler weggezogen, hatte Fanni ihren Mann morgens sich selbst überlassen und ihre Bettruhe bis halb acht ausgedehnt – was immer noch früh war für ihre Begriffe, aber die Hausarbeit musste gemacht, das Mittagessen gekocht und dies und das erledigt werden.
Ihren Aufenthalt in der Parkklinik nutzte Fanni, um so lange als möglich liegen zu bleiben. Leider wurde das Frühstück nur zwischen sieben und neun Uhr angeboten.
Ihr blieben noch zwanzig Minuten.
Frau Kübler und Herr Karg saßen noch an einem Ecktisch, hatten jedoch ihr Frühstück bereits beendet und trödelten bei einer Tasse Kaffee herum. Alexander und Michaela Kofler waren eben dabei, den Speiseraum zu verlassen. Alexander schien eine witzige Bemerkung gemacht zu haben, denn Michaela lachte laut auf und gab ihm einen Klaps auf den Arm. Alle anderen waren längst fort.
Während Fanni ihren Milchkaffee trank (sie hatte die Tasse zu drei Viertel mit heißer Milch gefüllt und einen Schuss Kaffee dazugegeben) und ihr Müsli löffelte (in dem der Anteil an Rosinen alles andere überwog), dachte sie darüber nach, wie sie die freie Zeit, die ihr der neue Terminplan laut Aushang am Vormittag gewährte, für ihre Ermittlungen am zweckdienlichsten nutzen konnte.
Freie Zeit! Du hast gerade mal zwei Stunden, bis um elf Uhr die Gruppengymnastik beginnt.
Am liebsten hätte sie in der Buchhaltung bei Herrn Seibold vorgesprochen, ihn in ein Gespräch verwickelt und nach Strich und Faden nach seiner Frau ausgefragt. Aber es wollte ihr partout kein Vorwand einfallen, unter dem sie bei ihm hätte aufkreuzen können.
Falls er überhaupt heute zur Arbeit erschienen ist! Wäre es nicht sowieso gescheiter, im Park draußen nach deinem Ohrring zu suchen, bevor ihn die Elstern finden?
Ja, dachte Fanni, das wäre es. Andererseits muss ich schleunigst Informationen beschaffen, die das Mordmotiv erhellen. Wenn ich schon Seibold nicht in die Finger kriege, dann sollte ich wenigstens das Gespräch mit meinen Mitpatienten suchen.
Und wie willst
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