Milchbart (German Edition)
gemeinsamen Ausflug in die Parkklinik auf den kommenden Morgen vorzuverlegen, war gegen zwei Uhr gefallen. Danach hatten sich die Nachbarinnen getrennt.
Haben die deshalb so rasch gehandelt, weil sie mitmischen wollen?
Gewiss darf den Damen Praml, Böckl und Weber unterstellt werden, dass sie darauf aus waren, sich in den Vordergrund zu spielen. Wie viele Mordfälle hatte Fanni in den vergangenen Jahren gelöst? Fünf? Sechs? Und das ganz allein, wenn man von diesem Sprudel einmal absah. Fanni Rot, die Außenseiterin, die sich weder am Weihnachtsbasar beteiligte noch beim Schmücken des Osterbrunnens half, die – man wagt es kaum kundzutun – dem Frauenbund nicht einmal angehörte und die hier auf dem Land, wo man sich vorzugsweise duzte, störrisch beim Sie blieb, war zu einer Art Berühmtheit geworden, während ihre Nachbarinnen im Regen standen. Dabei waren sie es doch, die über das gesammelte Wissen, die gebündelten Überlegungen, die koordinierten Ansichten der Mitschwestern des Frauenbundes von Birkdorf verfügten. Ihre Mitwirkung war also unverzichtbar, falls Fanni wieder einmal auf Mörderjagd war. Und sie würden schon dafür sorgen, dass im ganzen Landkreis bekannt wurde (schrieb Frau Pramls Neffe nicht regelmäßig für den Lokalteil der Passauer Neue Presse?), wer die maßgeblichen Hintergrundrecherchen geleistet hatte.
Frau Praml hielt nicht damit zurück.
»Maritas erster Mann ist gestorben, als der Junge noch ganz klein war«, sagte sie gerade. »Und das haben weder Tillman noch sie verkraftet.«
»Was ist denn aus dem Kind geworden?«, gelang es Fanni zu fragen, weil Frau Praml Atem holen musste.
»Das wissen Sie nicht?« Frau Praml starrte sie ungläubig an. »Marita stammt aus unserer Gemeinde. Da weiß man doch über sie Bescheid, selbst wenn man nicht ihrer Mutter, die seit jeher unserem Frauenbund angehört, alljährlich zum Geburtstag seine Aufwartung macht.«
Frau Böckl nahm es auf sich, Fanni aufzuklären: »Tillman war ein kluger Kopf, trotzdem hat er es am Gymnasium nicht einmal bis zur mittleren Reife geschafft. Irgendwann ist er abgehauen, hat sich rumgetrieben und jahrelang nichts von sich hören lassen. Wie alt ist er eigentlich inzwischen?«, fragte sie zu Frau Praml hinüber.
»Vierundzwanzig«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Das weiß ich ganz sicher, weil Tillman zusammen mit meiner Nichte Elsie eingeschult worden ist. Und schon vom ersten Schultag an hat es Ärger mit ihm gegeben. Seine Mutter musste ihn mit Gewalt ins Klassenzimmer schleifen, weil er solche Angst vor seinen Schulkameraden hatte.«
»Tillman ist in Birkdorf zur Grundschule gegangen?«, fragte Fanni überrascht.
Kollektives Frauenbund-Insider-Wissen! Da kannst du nur staunen, nicht wahr, Fanni?
»Ja, aber nur zwei Jahre«, antwortete Frau Praml. »Nach ihrer Hochzeit hat Marita mit Mann und Kind noch eine Zeit lang bei uns in der Gemeinde gewohnt – am Buchenweiher, genau gesagt –, bevor sie drei oder vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes nach Deggendorf gezogen ist.«
Daraufhin fuhr Frau Böckl fort, als hätte es nicht die kleinste Unterbrechung gegeben: »Vor ein paar Monaten ist Tillman plötzlich zurückgekommen. Man kann sich denken, wie erleichtert seine Mutter darüber war. Aber auf der Stelle haben sich neue Schwierigkeiten ergeben. Bildhauer sei er, hat er verkündet, und müsse seiner Berufung unbedingt folgen. Dazu brauche er jedoch Platz, sehr viel Platz. Am besten würde sich ein kleines Häuschen mit einem großen Grundstück für ihn eignen. Ich bitte Sie, Frau Rot, wo hätte denn Marita so etwas hernehmen sollen? Sie und ihr zweiter Mann bewohnen doch bloß eine Dreizimmerwohnung im vierten Stock von so einem Mietshaus am Rand vom Gewerbegebiet an der Ruselstrecke.«
»Was für ein Glück, dass Marita und Bertie inzwischen in der Parkklinik beschäftigt waren«, warf Frau Weber ein.
»Ja, Professor Hornschuh hat das Problem gelöst«, sagte Frau Böckl.
Weil sie sich daraufhin räuspern musste und dann nach ihrer Teetasse griff, übernahm es Frau Praml zu erklären: »Hornschuh hat Tillman die Forsthausruine überlassen, da wohnt der Junge jetzt, bearbeitet Steine und halb verrottete Baumstämme oder schweißt Alteisen zusammen.«
Fanni hatte von der Forsthausruine noch nie etwas gehört, was ihr offenbar anzusehen war, denn Frau Praml erläuterte: »Als es vor ein paar Jahren darum gegangen ist, den Grund und Boden für die Klinik zu erwerben, hat sich die
Weitere Kostenlose Bücher