Milchbart (German Edition)
halb erhoben, doch plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen, der noch ausgesprochen werden musste. Unvermittelt ließ sie sich wieder auf den Sitz zurückplumpsen.
»Was ich Sie unbedingt fragen wollte, Frau Rot: Sie werden doch wieder bei Hans einziehen, sobald Ihre Therapie abgeschlossen ist, oder? Er vermisst Sie so. Wir alle vermissen Sie. Bitte kommen Sie doch zu uns nach Erlenweiler zurück.«
Hat die Praml nicht mehr alle Tassen im Schrank? Du bist doch nie wirklich eine von ihnen gewesen! Es war von Anfang an offensichtlich, dass du nicht zu den Leuten von Erlenweiler passt! Und hat Leni nicht erwähnt, sie hätten es dich mehr und mehr spüren lassen, ganz besonders nachdem du Mirzas Mörder überführt hattest?
Ja, dachte Fanni. Lenis Worte gingen ihr durch den Sinn. »Sie konnten dir nicht vergeben, dass du zusammen mit Sprudel den ihnen verhassten Alten vor dem Knast bewahrt und stattdessen einen der ehrenwertesten Erlenweiler Mitbürger hinter Gitter gebracht hast.«
Du hast – wie man so schön sagt – ins eigene Nest geschissen, Fanni! Damit kommt man nicht ungestraft davon!
Fanni blieb die Antwort auf Frau Pramls Frage schuldig. Selbst wenn sie gewusst hätte, wie es nach ihrem Aufenthalt in der Parkklinik weitergehen würde, hätte sie nichts erwidern können. Es hatte ihr die Sprache verschlagen.
»Sie sollten nämlich wissen, Frau Rot«, ließ sich Frau Weber vernehmen, »seit er allein lebt, geht der Hans in Erlenweiler um wie Kohlenklau. Er sucht und sucht …«
»Kaum versiehst du dich’s«, fügte Frau Böckl mehr zu sich selbst hinzu, »steht er schon wieder vor der Haustür.«
Ah, daher weht der Wind! Er geht ihnen auf die Nerven! Anfangs haben sie sich wahrscheinlich gegenseitig darin überboten, ihn zum Essen einzuladen, ihm Gesellschaft zu leisten, ihm womöglich die Hemden zu bügeln. Aber jetzt, nach gut einem Jahr, ist der Ofen aus. Und auf einmal wünschen sie sich die zuvor als Emanze, Nestbeschmutzerin und hinterhältiges Trumm verunglimpfte Fanni Rot zurück! Wer hätte denn so etwas gedacht?
Die drei Nachbarinnen sahen sie fast flehend an.
Lass dich jetzt bloß auf keine voreiligen Versprechungen ein!
Fanni stand auf. »Wir werden sehen. Aber nun sollten Sie sich wirklich nicht mehr länger aufhalten lassen.« Dabei warf sie einen beredten Blick auf die Wanduhr, die über einem Chesterfieldsofa hing und auf der ein birnenförmiger Zeiger gerade zur nächsten Minute sprang.
Ihre Besucherinnen hatten sich ebenfalls erhoben. Fanni begleitete sie zum Parkplatz hinaus, wo sie einen Schauer guter Wünsche über sich ergehen lassen musste, während die Damen in Frau Pramls Wagen stiegen. Als sie davonfuhren, winkte ihnen Fanni gedankenvoll nach, dann kehrte sie langsam zum Klinikgebäude zurück.
Es geht doch nichts über ein Stündchen Klatsch und Tratsch am Vormittag!
Vor allem dann nicht, dachte Fanni, wenn jedes Wort davon quasi verbrieft und verbürgt ist, da es ja die Kontrolle des katholischen Frauenbundes von Birkdorf durchlaufen hat.
Als sie das Foyer betrat, tat ihr die Uhr mit den birnenförmigen Zeigern kund, dass es bereits zehn Uhr dreißig war.
Zu spät, um Bertie Seibold unter welchem Vorwand auch immer aufzusuchen, zu spät, um nach dem Ohrring Ausschau zu halten, und erst recht zu spät für ein Rendezvous mit Sprudel!
»Wir sollten noch einmal miteinander reden, Frau Rot.«
Fanni schwenkte herum und sah sich dem Kommissar gegenüber, der sie bereits tags zuvor verhört hatte.
»Würden Sie freundlicherweise mitkommen?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, eilte er auf eines der Behandlungszimmer zu und hielt die Tür für sie auf. Nachdem Fanni Platz genommen hatte, stellte ihr der Beamte fast die gleichen Fragen wie am Vortag, und Fanni antwortete genau so, wie sie es bereits gestern getan hatte.
»Ihnen ist also, nachdem Sie Frau Bogners Zimmer betreten hatten, eine Zeit lang nicht klar gewesen, dass Sie einer Toten gegenüberstanden«, sagte der Kommissar.
Fanni bestätigte das, fügte diesmal jedoch an: »Wann genau ist denn Frau Bogner gestern Vormittag verstorben? War es um zehn Uhr oder schon früher?«
»Fragen stelle ausschließlich ich«, beschied ihr der Kommissar und setzte als Beleg dafür hinzu: »Warum wollen Sie das wissen?«
Du solltest dich kooperativ zeigen! Wenn er dir hier in der Klinik schon so scharf kommt, möchte ich nicht wissen, wie er sich bei einem richtigen Verhör auf dem Präsidium verhalten würde! Vermutlich
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