Milchbart (German Edition)
entsprach, die er sich aus dem Telefonbuch herausgesucht hatte. Den Messingschildern nach befand sich Dr. Böhms Praxis im dritten Stock.
Klein, aber fein, dachte Sprudel, als er in den Empfangsbereich der Praxis trat.
Aufgeblasen, revidierte er sein Urteil, nachdem er die aufgebrezelte Dame am Tresen um einen Termin bei Frau Aicha gebeten hatte. Sie musterte ihn, als habe sie einen jener hässlichen Klingonen aus »Raumschiff Enterprise« vor sich, und beschied ihm, für Therapiestunden bei Frau Aicha seien zurzeit keine Termine zu vergeben.
»Wie lange denn nicht?«, erkundigte sich Sprudel.
»Sehr lange«, lautete die Antwort, verbunden mit einem Blick, der deutlich sagte: »Verschwinde, abstoßender Klingone, du nervst.«
»Soso«, machte Sprudel und sah sich mit gespielter Gleichgültigkeit im Raum um. Die hochnäsige Abfuhr ärgerte ihn. Musste er sich von diesem Dolly-Buster-Verschnitt tatsächlich vertreiben lassen wie ein streunender Köter?
Nein, dachte er, ganz so einfach werde ich es der Dame nicht machen. Herausfordernd gemächlich wandte er sich der dem Tresen gegenüberliegenden Wand zu, wo Werbebroschüren und Informationsmaterial aushingen.
Während Sprudel ein Faltblatt studierte, dessen Überschrift ihm versicherte, nichts sei leichter, als das Rauchen aufzugeben, hörte er die Empfangsdame telefonieren.
»Aber natürlich können Sie heute Nachmittag kommen, Herr Echmann«, flötete sie. »Dr. Böhm wird selbstverständlich Zeit für Sie haben.«
Sprudel steckte das Faltblatt zurück. Er wollte soeben nach einem anderen greifen, als er bemerkte, dass sich irgendwo in der Praxis eine Tür geöffnet hatte und Schritte sich näherten. Kurz darauf traten zwei Personen in den Eingangsbereich. Sprudel kannte sie beide von den Fotos im Foyer der Parkklinik. Frau Aicha war ihm zudem aus seinen Recherchen im Internet vertraut.
Frau Aicha und Bertie Seibold gaben sich soeben die Hand. »Kopf hoch, Bertie«, sagte Frau Aicha und nickte ihm aufmunternd zu, dann wandte sie sich ab und eilte davon.
Trotz des Zuspruches wirkte Seibold deutlich verstimmt, als er sich auf den Ausgang zubewegte.
»Aber Herr Seibold«, rief ihm die Empfangsdame nach, »Sie müssen mir ja noch sagen, ob und wann Sie wiederkommen wollen.«
Während sich Seibold umdrehte und auf den Tresen zuging, entschied Sprudel, dass es für ihn jetzt an der Zeit war, sang- und klanglos zu verschwinden. Wozu sich noch länger vor der Nase dieser Scharteke herumdrücken und es auf eine Konfrontation mit ihr ankommen lassen?, sagte er sich anerkennenswert vernünftig.
Er verließ das Terrassenhaus und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Doch je weiter er sich von der Böhm’schen Praxis entfernte, desto langsamer wurden seine Schritte.
Was, fragte er sich, hat Seibold mit der Therapeutin besprochen? Warum sah er so verdrossen aus, als er wegging? Sind Therapiesitzungen nicht dazu da, den Patienten ihre Last zu erleichtern? Aber Seibold scheint nicht nur bedrückt, sondern auch deutlich verärgert.
Was er jetzt wohl vorhat?, dachte Sprudel und beschloss spontan, genau das herauszufinden. Eilends kehrte er zum Terrassenhaus zurück.
Seibold hatte das Gebäude bereits verlassen und sich in Richtung Stadtzentrum gewandt. Obwohl Sprudel vorsichtshalber großen Abstand zu ihm hielt, hatte er keine Mühe, ihn im Auge zu behalten, denn an diesem nasskalten Novembervormittag waren die Straßen nur wenig belebt. Seibold wirkte nach wie vor mürrisch, ließ die Schultern hängen und hielt den Kopf gesenkt. Dennoch schritt er kräftig aus, als wolle er rechtzeitig zu einer Verabredung erscheinen.
Er näherte sich dem Stadtplatz, bog jedoch kurz davor in eine Seitenstraße ab. Sprudel beeilte sich, aufzuholen, was ihm gerade noch rechtzeitig gelang, um mitzubekommen, dass Seibold ein recht einladend aussehendes Café betrat.
Auf Sprudels Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Seibold hätte ihm keinen größeren Gefallen tun können, als ihn hierherzuführen, wo es Kaffee und eine gut bestückte Kuchentheke gab.
Er sah auf seine Armbanduhr, ließ einige Minuten verstreichen, bevor er selbst die Schwingtür des Cafés öffnete und eintrat.
Zu diesem Zeitpunkt – fürs Frühstück zu spät und fürs Mittagessen zu früh – waren nur wenige Tische besetzt.
Dennoch musste Sprudel sich suchend umschauen, bis er Seibold an einem Ecktisch sitzen sah, der weit vom Eingang entfernt unter einem mit bunten Glasschmetterlingen behängten
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