Milchbart (German Edition)
Weidenzweig stand.
Mit dem Vorsatz, sich am Nebentisch niederzulassen, steuerte Sprudel – nach einem Schlenker an der Kuchentheke vorbei – auf die Schmetterlinge zu.
Wenn ich es geschickt anfange, dachte er dabei, und es mir gelingt, Bertie Seibold in ein Gespräch zu verwickeln, ihm Vertrauen einzuflößen, dann verrät er mir vielleicht, was ihn wurmt. Schließlich kennt er mich nicht, kann zwischen der Parkklinik und mir keinen Bezug herstellen; und gibt es nicht dieses Phänomen, dass man einem Fremden manchmal mehr anvertraut als Menschen, die einem nahestehen?
Als Sprudel näher kam, bemerkte er, dass Seibold nicht allein war. Ihm gegenüber – vom breiten Rücken eines übergewichtigen Herrn bisher verdeckt – saß die Frau, der man in der Parkklinik am häufigsten über den Weg lief.
Fraglos würde Schwester Rosa, bekäme sie ihn zu Gesicht, ihn als denjenigen erkennen, den man beinahe täglich mit Fanni Rot zusammen sah.
Hastig schlug er einen Haken und verzog sich an einen kleinen Tisch, der gut zur Hälfte von einem Mauervorsprung verdeckt wurde. Nachdem er Platz genommen hatte, rückte er seinen Stuhl so zurecht, dass er Seibold im Blickfeld hatte. Probehalber beugte er sich ein Stück nach links und stellte erfreut fest, dass er auf diese Weise Schwester Rosa von schräg hinten ins Visier nehmen konnte, die gerade beschwörend auf Seibold einredete.
Während Sprudel einen Kaffee und ein Nusshörnchen bestellte, beobachtete er dessen Reaktionen, als würde er sich einen Stummfilm ansehen.
Bertie Seibold nickte mal zustimmend, mal schüttelte er den Kopf. Verbale Antworten gab er, wenn überhaupt, nur sehr kurze.
Im Laufe des recht einseitigen Gesprächs schien es Sprudel, als ob Seibolds Haltung von Minute zu Minute ablehnender würde.
Plötzlich stellte Seibold seine Teetasse, die er gerade an den Mund geführt hatte, mit einem Klirren auf den Unterteller zurück, stand auf und ging in Richtung Toilette.
Sprudel neigte sich vorsichtig zur Seite, um einen Blick auf Schwester Rosa werfen zu können. Sie wischte sich soeben die Stirn, als wäre ihr heiß und schummrig geworden. Daraufhin ergriff sie Seibolds Teekännchen, schenkte seine Tasse voll. Dann – Sprudel glaubte seinen Augen nicht trauen zu können – hielt sie auf einmal ein Medizinfläschchen in der Hand, aus dem sie einige Tropfen in Seibolds Tee fallen ließ.
Kurz danach kehrte Seibold zurück. Er setzte sich und trank die Tasse leer.
Sprudel hatte sich indessen wieder zurückgelehnt und versuchte sich einzureden, Schwester Rosa habe Seibold lediglich wohlmeinend ein leichtes Stärkungs- oder Beruhigungsmittel verabreicht.
Es muss wohl ein starkes Beruhigungsmittel gewesen sein, revidierte er sich wenig später, als er beobachtete, wie Seibold den Kopf auf den angewinkelten Arm stützte und die Augen schloss.
Im nächsten Augenblick trat das hübsche junge Mädchen, das die Gäste im Café bediente, an Seibolds Tisch und zückte ihren Rechnungsblock. Schwester Rosa musste ihr ein Zeichen gegeben haben.
Sprudel rechnete damit, dass sie und Seibold das Café nun gleich verlassen würden. Deshalb signalisierte auch er, dass er bezahlen wolle, nachdem das Mädchen kassiert, sich vom Ecktisch abgewandt und sich umgesehen hatte, ob weitere Gäste nach ihr verlangten.
Während er sein Portemonnaie wieder einsteckte, den letzten Schluck Kaffee trank und nach seiner Jacke griff, konnte er beobachten, wie sich die beiden, untergehakt, als wolle einer den anderen stützen, auf den Ausgang zubewegten.
Sprudel musste nicht einmal besonderes scharf hinschauen, um festzustellen, wie schleppend Seibolds Schritte waren, wie schwer er an Rosas Arm hing.
Beunruhigt folgte er ihnen hinaus, sah sie die Straße kreuzen und wandte ihnen vorsichtshalber den Rücken zu, indem er so tat, als begutachte er das Warenangebot der zum Café gehörigen Konditorei. Zum Glück spiegelte sich in der blanken Schaufensterscheibe ganz deutlich, was vis-à-vis geschah. Schwester Rosa und Bertie Seibold waren an einer Parkbucht stehen geblieben. An einem Kleinwagen flackerten die Blinklichter auf, als er entriegelt wurde. Schwester Rosa half Seibold auf den Beifahrersitz, setzte sich ans Steuer und fuhr davon.
Das war’s, dachte Sprudel, als ihm einfiel, wo sein eigener Wagen stand. Ende der Observierung. Beschatter abgehängt. Zielperson von fragwürdigem Individuum gekidnappt.
Sprudel kam gegen ein Uhr mittags nach Birkenweiler zurück. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher